Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)
über unseren Fernseher lustig und alles, aber ich glaube, so doll ist er gar nicht. Hast du seinen
Anzug gesehen – aus der Nähe?«
»Bei Slotkin muß immer alles zackzack gehen, da habe ich ihn noch gar nicht genauer betrachtet.«
»Ich dafür umso genauer, Earl«, sagte Maude. »Völlig abgetragen und glänzend, und die Hosenaufschläge sind vielleicht ein Anblick! Ich würde vor Scham
sterben, wenn du mit so einem Anzug herumlaufen müßtest.«
Earl schreckte auf. Er war so sehr in der Defensive gewesen, daß ihm gar nicht der Gedanke gekommen war, Charleys Geschick könnte sich seit College-Tagen gewendet haben.
»Vielleicht ein alter Lieblingsanzug, den er nicht wegschmeißen möchte«, sagte er endlich. »Reiche Leute sind mit so was manchmal komisch.«
»Ein altes Lieblingshemd und alte Lieblingsschuhe trägt er auch.«
»Ich kann es nicht glauben«, murmelte Earl. Er zog einen Vorhang beiseite, um einen Blick in das Märchenland von Terrasse und Grill zu erhaschen, wo Charley Freeman stand und
mit Slotkin und Converse und der Autorin plauderte. Charleys Hosenaufschläge, sah Earl mit Erstaunen, waren in der Tat ausgefranst, und die Absätze seiner Schuhe waren dünngetreten.
Earl berührte einen Knopf, und ein Schlafzimmerfenster rutschte auf.
»Eine angenehme Stadt«, sagte Charley ihnen. »Ich könnte mich hier genausogut wie anderswo niederlassen, weil ich keine sehr starken Gründe habe, in einem bestimmten
Teil des Landes zu leben.«
»So teuer!« sagte Slotkin.
»Ja«, sagte Charley, »es wäre wahrscheinlich schlau, ins Binnenland zu ziehen, wo mein Geld ein bißchen mehr wert ist. Gott, es ist unglaublich, wieviel heutzutage
alles kostet!«
Maude legte Earl die Hand auf die Schulter. »Da ist doch was faul, oder?« flüsterte sie. »Vierzig Jahre lang hörst du nichts von ihm, und ganz plötzlich taucht
er auf, völlig abgerissen, um uns endlich mal ganz groß zu besuchen. Was will er?«
»Er hat gesagt, er will die alten Zeiten hochleben lassen«, sagte Earl.
Maude schnüffelte. »Das glaubst du?«
Der Eßzimmertisch sah aus wie eine aufgeklappte Schatztruhe, und die Flammen der Kandelaber fingen sich in tausend perfekt bearbeiteten Oberflächen –, dem
Silber, dem Porzellan, den Facetten des Kristalls, Maudes Rubinen und Maudes und Earls stolzen Augen. Das Dienstmädchen trug dampfende Suppe auf, eigens zum Wohle des Fotos gekocht.
»Perfekt!« sagte Slotkin. »So! Jetzt reden!«
»Worüber?« sagte Earl.
»Ganz egal«, sagte die Autorin. »Nur damit das Foto nicht gestellt wirkt. Sprechen Sie über Ihre Asienreise. Wie sieht die Lage in Asien aus?«
Es war eine Frage, über die Earl nicht leichthin zu plaudern geneigt war.
»Ihr wart in Asien?« sagte Charley.
Earl lächelte. »Indien, Burma, auf den Philippinen, Japan. Alles in allem müssen Maude und ich zwei Monate damit verbracht haben, uns ein Bild von der Lage zu machen.«
»Earl und ich haben so ziemlich jeden Ausflug ins Landesinnere mitgemacht«, sagte Maude. »Er mußte einfach mit eigenen Augen sehen, was los war.«
»Das Dumme am Außenministerium ist, daß die alle im Elfenbeinturm sitzen«, sagte Earl.
Jenseits der glitzernden Kameralinse und der Front von Blitzlichtreflektoren sah Earl Charley Freemans Augen. Fachmännisches Gerede war auf dem College eine von Charleys vielen Stärken
gewesen, und Earl hatte immer nur lauschen und nicken und staunen können.
»Jawoll«, sagte Earl zusammenfassend, »die Lage sah für alle auf der Kreuzfahrt außer für Maude und mich ziemlich hoffnungslos aus, und es dauerte etwas, bis
wir daraus schlau wurden, weshalb das so war. Dann wurde uns klar, daß wir so ziemlich die einzigen waren, die alles ohne fremde Hilfe geschafft hatten –, daß wir die
einzigen waren, die wirklich verstanden, daß jemand, egal, von wie weit unten er kommt, wenn er das hat, worauf es ankommt, es sauber bis ganz nach oben schaffen kann.« Er hielt inne.
»Asien fehlt nichts, was ein bißchen Mumm und gesunder Menschenverstand und Gewußtwie nicht kurieren könnten.«
»Freut mich, daß es so leicht ist«, sagte Charley. »Ich hatte befürchtet, die Dinge könnten etwas komplizierter sein.«
Earl, der sich zu Recht als einen derjenigen Männer ansah, mit denen man auf Erden am leichtesten auskam, sah sich in der ungewohnten Lage, wütend auf einen Mitmenschen zu sein.
Charley Freeman, der offenbar versagt hatte, während Earl sich in der Welt nach oben bewegte, schmälerte
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