Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
Vom Netzwerk:
sekundierten ihm mit heiseren Rufen. Dann folgten die Thunyeri den Scharlachspitzen und hetzten über die rauchenden Trümmer des Massus-Tors. Unter ihren Stiefeln knackten die zerbrochenen Kacheln.
    Nördlich des Tors kämpften Proyas und seine Leute aus Conriya auf den Zinnen. Zwar war einer ihrer beiden Belagerungstürme den Flammen zum Opfer gefallen, doch Hunderte kletterten die Rückwand des anderen hinauf und stürmten durch den Pfeilhagel, um ihrem Prinzen beizuspringen. Südlich des Tors beobachteten Chinjosa und seine Ainoni verwundert, wie die Verteidiger vor den schwerfällig anrückenden Belagerungstürmen flohen. Der kampflustige Uranyanka und seine Moserothi würden als Erste von ihnen den Fuß auf die Tatokar-Mauern setzen.
    Auch die Thunyeri in ihren schwarzen Rüstungen strömten ohne Gegenwehr in die Stadt. Prinz Hulwarga und Graf Goken wandten sich nach Süden und führten die Skagwi und die Auglishmänner mit ihren wilden Mähnen in die erhalten gebliebenen Straßen im Schatten der Stadtmauer. Graf Ganbrota zog derweil mit seinen Männern aus Ingraul, deren Schilde mit Schrumpfköpfen geschmückt waren, nach Norden. Den Osten überließen sie Gurwikka von den Scharlachspitzen und seinen dunkelhäutigen Sklaven.
    Bald flohen die Kianene und Amoti in heller Panik, denn wohin sie auch blickten, sahen sie zahllose Männer in Kettenpanzern wie losgelassene Wölfe durch die Straßen ziehen.
     
     
    Die Laterne flackerte, und Kellhus drückte sie an sich, als wollte er sie mit seiner Körperwärme am Brennen halten, doch sie verlosch mit einem letzten Zischen.
    Aber es war nicht völlig finster. Ein Stück weiter rechts, wo ein donnernder Wasserfall zu hören war, schimmerte es schwach. Statt eine Zauberformel einzusetzen, die seine Anwesenheit hätte verraten können, ging er im Dunkeln weiter.
    Je tiefer er in den pechschwarzen Gang vordrang, desto lauter wurde das Donnern. Feiner Nebel ließ seine Haut glänzen und Haar und Gewand feucht werden. Das Licht wurde immer deutlicher: ein orangefarbener Glanz auf nassem schwarzem Stein. Zweimal bückte er sich und fuhr mit den Fingern über den Boden, um sich zu vergewissern, dass er noch der Spur seines Vaters folgte.
    Der Gang führte auf einen Balkon, von dem sich eine riesige Höhle übersehen ließ. Zunächst erkannte er nur die gewaltige Wasserwand, die aus unergründlicher Schwärze mit solcher Wucht herabstürzte, dass der Boden unter ihm aufwärts zu treiben schien. Dann bemerkte er unten auf einer Plattform außerhalb der Reichweite des Wasserfalls mehrere Lichtpunkte, die sich auf der öligen Oberfläche eines Bassins spiegelten. Es musste sich um Kohlenbecken handeln, die wegen der feuchten Luft nur schwach brannten.
    Vater?
    Kellhus stieg eine breite, in den Fels gehauene Treppe hinab. Wie überall waren auch hier die Wände voller in Stein gearbeiteter Heldentaten, hinter denen wiederum pornografische Darstellungen erkennbar waren. Diesmal waren die Statuen überlebensgroß. Kellhus konnte riesige Gewölbe erkennen, über deren Figurengewirr sich im Laufe der Jahrtausende eine Kruste gelegt hatte, die von den Rückständen mineralhaltigen Wassers herrührte. Der Wasserfall selbst schien aus einer schwarzen Unendlichkeit zu kommen, schäumte weiß, stürzte mit dem Gewicht von Gletschern herab und wirkte so riesig, dass er ihn fast in die Knie zwang.
    Viele Rinnen, die wie aufgeschnittene Versionen der gebogenen Hörner aussahen, mit denen die Thunyeri sich in der Schlacht verständigten, waren ganz in der Nähe des Wasserfalls befestigt, um Wasser auf die ausgedehnten Flächen weiter unten zu leiten. Doch nur drei dieser Rinnen reichten noch ins tosende Wasser – die anderen waren zerbrochen. Sie alle hatten an den Rändern Grünspan angesetzt, schimmerten aber dort, wo das Wasser sie durchströmte, noch immer kupferrot.
    Die Treppe schlängelte sich vom Wasserfall weg an der Rückwand der riesigen Höhle entlang, traf auf ihr Pendant und weitete sich zu einem gewaltigen Fächer. Bronzene Waffen und Rüstungen lagen auf den Stufen verstreut – Reste der Schlacht, die hier vor langer Zeit verloren worden war. Als er sich dem Fuß der Treppe näherte, mischten sich die Geräusche kleinerer Gewässer ins Getöse des Wasserfalls: gluckernde Traufen und über Steine rauschende Bäche. Modergeruch stand in der Luft.
    »Sie haben sich hier zu Hunderten versammelt«, rief eine Stimme durch die Finsternis. Trotz des tosenden Wassers war sie

Weitere Kostenlose Bücher