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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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deutlich zu hören. »Vor der Schoßplage sogar zu Tausenden…«
    Eine Stimme, die Kûniürisch sprach.
    Kellhus blieb auf den Stufen stehen und spähte ins Dunkel.
    Endlich.
    Weit wie die Siricus-Arena in Momemn öffnete sich der Boden vor ihm. Er war mit Geröll bedeckt – und mit kleinen Erhebungen, die alles waren, was von den Gefallenen übriggeblieben war. Kleine Wellen glitten endlos über das Bassin in der Mitte des Bodens. Wie ein schwarzer Spiegel warf es den Schein der am gegenüberliegenden Ufer brennenden Kohlenbecken zurück, die feisten Bronzegesichter, die über den Becken aufragten, und den riesigen Wasserfall. Am Ende der Rinnen waren gewaltige Bronzestatuen errichtet: dicke, nackte Kniende, durch deren Rücken Kanäle verliefen und deren hohle Köpfe wie Masken mit dicken Wangen wirkten. Sie hockten in weitem Halbkreis vor dem Bassin, und ihre Mienen hatten im orangefarbenen Licht etwas Anzügliches. Wasser strömte dreien von ihnen aus Augen und Mund und klatschte aufs Gestein. Einer der ausgehöhlten Köpfe war abgebrochen und lag halb im Bassin, so dass sein nicht versunkenes Auge übers schwarze Wasser stierte.
    »Zu baden war ihnen heilig«, fuhr die Stimme fort.
    Kellhus stieg die letzten Stufen der gewaltigen Treppe hinunter und ging langsam über den Boden. Er hatte sich daran gewöhnt, Stimmen zu analysieren, doch diese war glatt wie Porzellan – nahtlos und unergründlich. Dennoch kannte er sie sehr gut. Kein Wunder, es war seine eigene.
    Beim Umrunden des Bassins sah er eine bleiche Gestalt mit gekreuzten Beinen hinter dem Wasserschwall sitzen, der aus einem der monströsen Gesichter strömte, so dass er nur die Umrisse eines weißhäutigen Mannes ausmachen konnte.
    »Die Feuer sind für dich«, sagte die Gestalt. »Ich lebe schon sehr lange im Dunkeln.«
     
     
    Dass sie so ruhig blieb, ängstigte Achamian fast so sehr wie der Lärm am Horizont. Der Wind wehte den unangenehmen Geruch von Hexenkunst heran.
    »Dann benutzt er also jeden«, sagte sie schließlich. »Mit jedem Wort will er manipulieren…« Sie blickte so starr, als hätten ihre Augen das Blinzeln verlernt. »Meinst du, dass er auch mich benutzt?«
    »Ich habe noch nicht alles durchdacht, aber ich glaube, er will… Kinder… von seiner Stärke und seinem Verstand, und du – «
    »Er will also möglichst viele von seinem Kaliber in die Welt setzen? Und ich bin seine Zuchtstute?«
    »Ich weiß, diese Worte müssen widerlich klingen, aber – «
    »Wieso? Ich bin mein Leben lang benutzt worden.« Sie hielt inne und funkelte ihn so reumütig wie entrüstet an. »Mein Leben lang, Akka. Und jetzt, da ich das Werkzeug von etwas Höherem geworden bin, das über den Männern und ihrer Lüsternheit steht – «
    »Aber warum? Warum muss man überhaupt ein Werkzeug sein?«
    »Du redest, als hätten wir eine Wahl – du, ein Ordensmann der Mandati! Es gibt kein Entrinnen, und das weißt du. Mit jedem Atemzug werden wir benutzt!«
    »Warum bist du dann so verbittert, Esmi? Sollte das Werkzeug eines Propheten nicht überschwänglich klingen – «
    »Wegen dir, Akka!«, rief sie heftig. »Wegen dir! Warum kannst du mich nicht einfach loslassen? Du weißt, dass ich dich liebe, und klammerst dich daran, gräbst deine schmutzigen Fingernägel in meine Zuneigung und zerrst, zerrst und zerrst. Du quälst und verletzt mich und weigerst dich, mich loszulassen!«
    »Esmi… ich habe dich gebeten, mich zu begleiten, und du bist mitgekommen.«
    Sie schwiegen lange.
    »All das«, sagte sie schließlich, und die fernen Hexenkünste waren so laut, dass ihre Stimme kaum zu hören war, »alles, was Cnaiür dir berichtet hat… warum meinst du, dass Kellhus mir das nicht längst erzählt hat?«
    Achamian schluckte und achtete nicht auf die Lichter, die in seinen Augenwinkeln blitzten.
    »Weil du sagst, dass du ihn liebst.«
     
     
    Das unerbittliche Tempo, mit dem die Becken geschlagen wurden, zeigte, wie ungemein rasch die Scharlachspitzen vorrückten. Sie legten alles, was vor ihnen war, in Trümmer. Jeden Widerstand, den die Heiden aufbrachten, bliesen sie aus wie eine Kerze. Ob Reitereinheiten, ob Bogenschützen auf den Dächern – sie alle vergingen im anagogischen Feuer.
    Bis auf die Ordensmänner, die hinter ihnen beobachtend in der Luft wandelten, zogen fast alle vierundsiebzig Hexenmeister, die überlebt hatten, durch die Feuersbrunst und schützten sich und ihre Schildträger mit Abwehrzaubern. Im grellen Licht einander ablösender

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