Der tausendfältige Gedanke
und jagten über ihnen durch die Luft. Die Toten starrten mit leeren Blicken aufs brausende Meer.
Nautzera drehte den Kopf von Mekeritrigs Hand weg zu Achamian und atmete schwer. »Aber du bist doch tot«, keuchte er.
Nein, sagte Achamian. Ich habe überlebt.
Weg waren Holzgerüst und Mauer, Fäulnisgestank und der schrille Chor der Aasvögel. Weg war Mekeritrig. Achamian befand sich im Nirgendwo. Der abrupte Übergang verschlug ihm den Atem.
Wie ist es möglich, dass du lebst?, rief Nautzera in seinen Gedanken. Uns wurde berichtet, die Scharlachspitzen hätten dich entführt!
Ich…
Achamian? Akka? Ist alles in Ordnung?
Warum fühlte er sich so klein? Er hatte Gründe für sein Täuschungsmanöver – gute Gründe!
Ich – ich…
Wo bist du? Wir schicken dir jemanden. Alles wird in Ordnung kommen. Es wird Vergeltung geben!
Von Sorge oder Mitgefühl keine Spur.
Nein, Nautzera, Ihr versteht nicht –
Meinem Bruder ist Unrecht geschehen! Was muss ich mehr wissen?
Achamian durchlebte einen Moment völliger Schwerelosigkeit.
Ich habe euch belogen.
Auf diese Worte folgte ein langes, düsteres Schweigen, das vollkommen war und in dem doch unhörbare Dinge lärmten.
Belogen? Willst du damit sagen, die Scharlachspitzen haben dich nicht entführt?
Nein – ich meine, doch, sie haben mich entführt! Aber ich bin entkommen…
Erinnerungen an den Irrsinn in Iothiah blitzten im Dunkeln auf. Er sah Iyokus und sein leidenschaftsloses Foltern, die Blendung von Xinemus, die Wathi-Puppe und die gottgleiche Ausübung der Gnosis.
Männer, an die er sich gut erinnerte, schrien.
Das hast du gut gemacht, Achamian – so gut, dass dein Name in unseren Annalen verewigt wird! Aber was hat es mit diesen Lügen auf sich?
Es gibt da – sein Körper in Caraskand erschauderte – eine Tatsache, die ich Euch und den anderen verschwiegen habe.
Eine Tatsache?
Ein Anasûrimbor ist zurückgekehrt…
Eine lange Pause entstand, die seltsam künstlich wirkte.
Was sagst du da?
Der Vorbote ist gekommen, Nautzera. Die Welt steht vor dem Untergang.
Die Welt steht vor dem Untergang.
Wenn man ihn nur oft genug wiederholte, verkam jeder Satz selbst dieser – zu einer Abfolge leerer Worte. Deshalb hatte Seswatha seinen Anhängern ja auferlegt, seiner leidgeprüften Seele Nacht für Nacht aufs Neue zu begegnen. Aber als Achamian nun Nautzera beichtete, schien es ihm, als habe er diese Worte nie zuvor ausgesprochen.
Vielleicht war es ihm nie wirklich ernst mit ihnen gewesen. Jedenfalls nicht so ernst wie jetzt.
Nautzera war zu tief erschrocken, um über das Eingeständnis von Achamians Verrat entrüstet zu sein. Seine Andere Stimme hatte beunruhigend leer geklungen, was ein Anflug von Altersschwäche gewesen sein mochte. Erst hinterher begriff Achamian, dass der alte Mann – wie er selbst nur Monate zuvor – einfach furchtbare Angst davor gehabt hatte, den Ereignissen, die sich abzeichneten, nicht gewachsen zu sein.
Die Welt stand vor dem Untergang.
Achamian beschrieb zunächst sein erstes Treffen mit Kellhus, damals, als Proyas ihn vor die Mauern von Momemn hatte kommen lassen, damit er den Scylvendi beurteilte. Er berichtete vom überragenden Verstand des Dunyain und erläuterte sogar Kellhus’ Verbesserungsvorschläge der Logik des Ajencis, um dessen übernatürliche Intelligenz zu belegen. Aus eigener Anschauung und aus dem, was er später von Proyas erfahren hatte, schilderte Achamian Kellhus’ unaufhaltsamen Aufstieg zum Anführer des Heiligen Kriegs. Von Zuträgern aus dem Umfeld des Kaiserhofs hatte Nautzera offenbar erfahren, dass ein Mann, der ein Prophet zu sein behauptete, unter den Männern des Stoßzahns Bedeutung gewonnen hatte. Doch da aus dem Namen Anasûrimbor auf dem langen Weg nach Atyersus der Name Nasurius geworden war, hatten sie sein Prophetentum als ein weiteres fanatisches Hirngespinst abgetan.
Dann beschrieb Achamian, was sich in Caraskand zugetragen hatte: die Ankunft des Padirajah, die Belagerung und das Aushungern, die wachsenden Spannungen zwischen den Orthodoxen und den Zaudunyani, Kellhus’ Verurteilung als falscher Prophet – und schließlich die Offenbarung unter den düsteren Ästen des Umiaki, wo der Dûnyain Achamian gebeichtet hatte, wie Achamian nun seinem Ordensmeister beichtete.
Er erzählte Nautzera alles. Nur über Esmenet schwieg er.
Nach seiner Befreiung fielen selbst die halsstarrigsten Orthodoxen vor ihm auf die Knie – und wie hätte es anders sein sollen? Das Duell
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