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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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jemanden von meinem Kaliber gefunden zu haben.« Er lachte böse. »Ich habe sogar mit dem Gedanken gespielt, dich zu meinem Oberbefehlshaber zu machen.«
    Cnaiür runzelte die Stirn. Wer war dieser Mann?
    »Das war unsinnig, ich weiß. Und völlig unmöglich. Das Heer würde meutern. Der Mob würde die Andiamin-Höhen stürmen! Aber ich werde den Eindruck nicht los, dass ich mit einem wie dir selbst Triamis in den Schatten stellen könnte.«
    Entsetzt dämmerte Cnaiür, wer da mit ihm sprach.
    »Na, hast du endlich gemerkt, dass du dich in Gegenwart des Kaisers befindest?« Er hob seinen Weinkelch und nahm einen tiefen Zug. »Ikurei Conphas L«, keuchte er, als er geschluckt hatte. »Mit mir ist das Kaiserreich wiedergeboren, Scylvendi. Ich bin Kyraneas und Cenei. Bald wird mir das ganze Gebiet der Drei Meere zu Füßen liegen!«
    Er hatte alles wieder vor Augen: Blut und verzerrte Mienen, Gebrüll, Feuer – all den Schrecken und all die Verzückung von Joktha. Und da stand er… Conphas, ein Gott mit blessiertem Gesicht.
    Cnaiür lachte tief und aus vollem Halse.
    Einen Moment lang stand der Kaiser sprachlos da, als müsste er das Ausmaß einer ganz unerwarteten Unfähigkeit abschätzen. »Du spielst mit mir«, sagte er dann und klang wirklich verblüfft. »Du machst dich über mich lustig.«
    Da begriff Cnaiür, dass Conphas aufrichtig gewesen war und jedes Wort ehrlich gemeint hatte. Kein Wunder, dass der Kaiser verblüfft war. Schließlich hatte er seinen Bruder erkannt – wie hatte der ihn im Gegenzug nicht auch erkennen können?
    Der Häuptling der Utemot lachte noch lauter. »Bruder? Dein Herz gellt, und deine Seele ist gewöhnlich. Deine Forderungen sind unsinnig und ohne wirkliche Einsicht geäußert und ähneln den Litaneien, in denen Mütter sich in törichtem Stolz über die Vorzüge ihrer Kinder ergehen.« Cnaiür spuckte verächtlich aus. Sein Speichel war rosa. »Wir sollen gleichrangig sein? Brüder sogar? Du hast nicht Mumm genug, mein Bruder zu sein. Du bist aus Sand, und der Wind wird dich davonwehen.«
    Wortlos kam Conphas heran und trat ihm mit dem Absatz seiner Sandale auf den Kopf.
    Cnaiür kicherte selbst dann noch, als das Blut ihm heiß über die Zähne schoss. Mit kaum vorstellbarer Klarheit hörte er, wie der Kaiser sich zurückzog, wie das Leder auf seinem geprägten Brustharnisch knarrte und die Schwertscheide an den Schößen seines Lederkilts kratzte. Conphas fegte den Zelteingang beiseite und ging, dabei schon Namen rufend, ins größere Lager hinüber. Cnaiür aber spürte sich zwischen Unermesslichem hin- und herschlittern: zwischen der Erde, die so grausam gegen seine übel zugerichtete Gestalt drückte, und dem Spektakel von Menschen und ihren verhängnisvollen Absichten.
    Endlich, lachte etwas tief in ihm – endlich geht es zu Ende.
     
     
    Gleich darauf trat General Sompas mit grimmiger Miene und gezogenem Messer ein. Ohne zu zögern, kniete er sich neben Cnaiür und schnitt ihm die Lederfesseln durch.
    »Die anderen warten«, sagte er leise. »Euer Chorum liegt auf dem Tisch.«
    Cnaiür konnte nur heiser flüstern: »Wohin bringt Ihr mich?«
    »Zu Serwë.«
     
     
    Der General führte den gefangenen Scylvendi an den dunklen Rand des Nansurlagers. Sie kamen an vielen Wachposten und Zelten vorbei, in denen ausgelassen gefeiert wurde. Niemanden wunderte es, dass der General eine Hauptmannsuniform trug. Sie waren das Heer eines glänzenden und ungewöhnlichen Anführers, dessen seltsame Methoden ihnen jedes Mal Sieg und Vergeltung beschert hatten. Und Biaxi Sompas war sein Parteigänger.
    »Ist es immer so leicht?«, fragte Cnaiür das Wesen.
    »Immer«, bekam er zur Antwort.
    Im Dunkel einiger Johannisbrotbäume wurden sie von Serwë, einem weiteren ihrer Brüder und acht mit Vorräten bepackten Pferden erwartet. Die Morgendämmerung war noch nicht angebrochen, als sie das erste Horn leise in der Ferne tönen hörten.
    Ein Wort ging Kaiser Ikurei Conphas nach, ein Wort, das er bisher stets von außen betrachtet hatte: Entsetzen.
    Er saß da, stützte sich müde auf seinen Sattelknopf und sah zu, wie die Fackeln sich vor ihm durch die dunklen Bäume bewegten. Mit ein paar anderen hielt Sompas sich schweigend zu seiner Rechten. Rufe hallten hinter ihnen durchs Lager. Im Dunkeln wimmelte es von Suchlichtern.
    »Scylvendi!«, schrie Conphas in die Finsternis. »Scylvendi!« Er brauchte seine Generäle nicht anzuschauen, um ihre fragenden Mienen zu sehen.
    Was hatte es mit diesem

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