Der tausendfältige Gedanke
Mann auf sich, mit diesem Dämon? Wie hatte er ihn so berühren können? Allem Hass zum Trotz, den die Nansur den Scylvendi entgegenbrachten, waren sie ihnen zugleich seltsam zugetan. Sie hatten etwas Geheimnisvolles an sich, und ihre Männlichkeit überschritt die zahllosen Regeln, die den Verkehr zivilisierter Menschen so sehr einengten. Während die Nansur schmeichelten und verhandelten, griffen die Scylvendi einfach zu. Es war, als hätten sie die Gewalt in Reinkultur verinnerlicht, während die Nansur sie in tausend Teile zertrümmert hatten, um sie als Splitter in das vielgestaltige Mosaik ihrer Gesellschaft zu stecken.
Es ließ die Scylvendi… männlicher erscheinen.
Besonders den Häuptling der Utemot. Conphas hatte es erlebt – wie alle Soldaten der Nansur, die in Joktha vor ihm erzittert waren. Im Feuerschein hatten die Augen des Barbaren glühenden Kohlen geglichen, die in seinen Schädel gesetzt worden waren. Das Blut hatte seine Haut ihre wahre Farbe annehmen lassen. Seine todbringenden Arme, seine brüllende Stimme, seine markigen Befehle: sie alle hatten einen Gott gesehen, den schrecklichen Gilgaöl nämlich, dessen großer, gehörnter Schatten sich über ihm aufgebäumt hatte.
Und nachdem sie ihn wie einen wilden Stier zu Boden gerungen und auf wundersame Weise gefangen genommen hatten – ihn, den Krieg selbst! –, hatte er sich einfach in Luft aufgelöst.
Cememketri beharrte darauf, Hexenkunst sei nicht im Spiel gewesen. Zum ersten Mal konnte Conphas den besessenen Argwohn seines Onkels gegenüber den Kaiserlichen Ordensleuten verstehen. Ob sie dahintersteckten? Oder, wie Cememketri ängstlich vermutet hatte, die Gesichtslosen? Einige seiner Soldaten behaupteten, sie hätten Sompas den Scylvendi durchs Lager führen sehen – eine glatte Unmöglichkeit, da Conphas von Cnaiür aus direkt zu Sompas gegangen war.
Gesichtslose… Hautkundschafter hatte der Ordensmann der Mandati sie genannt. Seitdem er von Cememketri erfahren hatte, dass Xerius von einem dieser Wesen in Gestalt seiner Großmutter ermordet worden war, hatte Conphas immer wieder über die Argumente nachgedacht, die dieser Narr vom Orden der Mandati bei der Debatte über das Schicksal des Prinzen aus Atrithau in Caraskand vorgebracht hatte. Es handelte sich bei diesen Wesen nicht um Cishaurim – das hatte Conphas eingeräumt, und der Tod von Xerius hatte es bestätigt. Warum sollten die Cishaurim den einzigen Mann ermorden, der sie retten konnte?
Sie waren keine Cishaurim, aber machte sie das schon zu Rathgebern, wie der Mandati nachdrücklich behauptet hatte? War das wirklich der Beginn der Zweiten Apokalypse?
Wie hätte Conphas angesichts dieser Ereignisse nicht entsetzt sein sollen?
Die ganze Zeit über hatte er sich mit seinem Onkel am Ursprung allen Geschehens geglaubt. Egal, was die anderen planten: sie zappelten alle in den Netzen seiner verborgenen Pläne. Das hatte er jedenfalls angenommen. Welch ein Irrtum! Die ganze Zeit waren andere eingeweiht gewesen und hatten zugesehen, und er hatte nicht die leiseste Ahnung von ihren Absichten gehabt!
Was geschah hier? Wer beherrschte die Ereignisse?
Kaiser Ikurei Conphas I. jedenfalls nicht.
Mit seinem vom Fackelschein betonten Adlergesicht musterte Sompas ihn erwartungsvoll, behielt aber wie die anderen seine Meinung für sich. Sie spürten seine Laune und wussten, dass sie mehr als schlecht war. Conphas ließ den Blick über die im bleichen Mondlicht liegende Landschaft schweifen und empfand den verzweifelten Schmerz, den jeder spürt, der sich den enormen Dimensionen der Welt gegenübersieht, die etwas heiß Begehrtes verschluckt hat. Wäre er ganz allein gewesen, dann wäre er in Hoffnungslosigkeit verfallen.
Aber er war nicht allein. Er war viele. Die Fähigkeit, Glieder und Stimme dem Willen eines anderen zu unterwerfen, machte das wahre Genie des Menschen aus. Seine Fähigkeit zu knien! Mit dieser Macht war Conphas nicht länger auf das Hier und Jetzt beschränkt. Mit dieser Macht konnte er die ganze Welt umspannen! Er war Kaiser.
Wie hätte er da nicht kichern sollen? Was für ein wundersames Leben er doch führte!
Er musste die Dinge nur vereinfachen. Und mit dem Scylvendi würde er beginnen… Er hatte keine andere Wahl.
Dass es der Scylvendi war, konnte kein Zufall sein. Da stand Conphas nun kurz davor, den alten Ruhm des Kaiserreichs wiederherzustellen, und musste feststellen, dass alles darauf hinauslief, einen Nachkommen seiner uralten Feinde zu töten, an
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