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Der Tee der drei alten Damen

Der Tee der drei alten Damen

Titel: Der Tee der drei alten Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Liebe viel wichtiger war als die Verzweiflung des guten Thévenoz, und Thévenoz… ja, Thévenoz war auch in anderer Beziehung ein Konkurrent. Was waren das für mysteriöse Krankenbesuche, die er zu machen hatte? Hatte er etwas entdeckt? Nun, wenn er gedachte, geheimnisvoll zu tun – bitte sehr, wenn er sich jede Einmischung in seine Privatangelegenheiten verbat, – warum nicht?
    »Warum nicht?« sagte O'Key laut und zog die Achseln hoch. Da sah er ganz nahe vor sich eine weiße Wölbung, er wollte schnell ausweichen, aber er hatte zu viel Schwung, prallte dagegen und entschuldigte sich wortreich. Die weiße Wölbung war der unwahrscheinlich dicke Bauch eines älteren Herrn gewesen, mit dem er zusammengestoßen war.
    »Ähpfuuhh«, sagte der dicke Herr. »Sie sollten nicht an Ihre Liebste denken, dear Master O'Key, wenn Sie morgendliche Spaziergänge machen. Zur Strafe müssen Sie mich jetzt begleiten, dort unten an der Ecke ist eine stille Brasserie, die gutes frisches Bier hat, bei dieser Hitze nicht zu verachten. Kommen Sie, junger Mann, das Bier wird Ihre tiefsinnigen Gedanken klären, und ich habe übrigens mit Ihnen zu sprechen.«
    »Herr Staatsrat, guten Morgen«, antwortete O'Key, »auch ich bin begeistert, daß ich Sie getroffen habe. Ich hätte Sie sonst in Ihrem Bureau aufsuchen müssen. Aber im Freien ist es unbedingt gemütlicher.«
    Und verzweifelt zermarterte sich O'Key das Gehirn, um den Namen des dicken Herrn zu finden. Der Name war ähnlich wie der eines berühmten Cocktails, und er ging sie im Geiste durch: es war weder Bronx noch Side-car, auch unter den Flips und Fizz war der Name nicht zu finden, endlich, wie das immer zu gehen pflegt, der berühmteste kam ihm erst am Schluß in den Sinn. »Und sonst geht es Ihnen gut, Herr Martini, will sagen Herr Martinet?«
    »Gut, mein junger Freund«, sagte Herr Staatsrat Martinet, »so gut als möglich, wenn man so dick ist wie ich. Das Fett ist eine rechte Plage, man schwitzt, man zerläuft, man zergeht, man hofft bei dieser Hitze abzumagern, aber das ist ein Irrtum. Ahpfuuhh«, seufzte Herr Martinet, und es klang wie das Ausströmen der Luft aus einem zerplatzten Veloschlauch.
    Herr Martinet hatte ein Quadrupelkinn, wenn dieser Ausdruck erlaubt ist, und in den Falten dieses Kinns schimmerte es feucht, Tröpfchen bildeten sich, flossen zusammen, sickerten bergab, und Herr Martinet tupfte und tupfte mit einem weißen, seidenen Taschentuch – vergebens. Er sank erschöpft auf einen der kleinen Stühle, die auf dem Trottoir vor der Brasserie aufgestellt waren.
    »Auguste!« rief er, »Auguste, bring mir meinen Stuhl!«
    »Jawohl, Herr Staatsrat!« Und Auguste erschien mit einem breiten Rohrstuhl, der bedenklich krachte, als Herr Martinet sich in ihn versenkte.
    »So, Auguste, danke, und nun ein großes Helles für mich, und für den Herrn einen Whisky, Soda mit Eis, nicht wahr, das ist doch Ihr Wunsch, lieber Freund?« O'Key nickte. Auguste verschwand, und die beiden hörten ihn drinnen mit singender Stimme die Bestellung wiederholen.
    »Gesundheit!« sagte Herr Martinet und labte sich mit einem langen Schluck, dann trocknete er seine riesige Glatze, vergaß auch das Kinn nicht, fächelte sich Kühlung zu und schwieg eine Weile. O'Key wartete geduldig.
    »Und wie kommen Sie mit meinem Kommissar aus, lieber Freund?« fragte Herr Martinet.
    »Danke, Herr Staatsrat, Kommissar Pillevuit ist die Freundlichkeit selbst und seine Tüchtigkeit ist so groß, daß ich mir wirklich überflüssig vorkomme. Ich begreife gar nicht, warum man mich hierher beordert hat, ich komme mir vor, wie das fünfte Rad am Wagen. Die Fähigkeiten der Genfer Polizei…«
    »Ähpfuhh«, sagte Herr Martinet, »genug, mein Freund, genug der Schmeicheleien, seien Sie sparsam, sonst muß ich erröten, wie ein junges Mädchen, und das würde mir nicht gut stehen, bei meiner Korpulenz. Es freut mich, daß Sie mit Pillevuit gut auskommen. Er ist tüchtig, sehr tüchtig, aber ihm fehlt die Phantasie, ja, die Phantasie.«
    Herr Martinet schwieg, er ließ seine faltigen Lider über die kleinen Augen fallen und schien einzuschlafen. O'Key nahm einen Schluck Whisky und wartete. ›Solche Leute darf man nicht drängen‹, dachte er, ›die müssen zuerst lange Redensarten machen, bevor sie zu den wichtigen Dingen kommen, und die wichtigen Dinge teilen sie dann nur so nebenbei mit, damit sie sich dann immer noch ausreden können und einen Rückzug haben. Diese schlauen Provinzpolitiker!‹ O'Key

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