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Der Tee der drei alten Damen

Der Tee der drei alten Damen

Titel: Der Tee der drei alten Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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»der Professor ist es nicht, denn Baranoff will ja den Professor auffliegen lassen. Es muß da noch ein anderer ›Meister‹ sein. Also, du mußt mir helfen. Ich kann nicht zu dem englischen Journalisten gehen, du mußt deinem Bruder, dem Advokaten, sagen, er soll sich des Professors annehmen, Baranoff will ihn hochgehen lassen, ich habe heute einen anonymen Brief schreiben müssen, an die Staatsanwaltschaft, und dann hat Baranoff noch telephoniert…«
    »Ich verstehe gar nichts mehr«, unterbrach da Jakob. »Das Ganze kommt mir wie ein ungeheurer italienischer Salat vor, du mußt klarer sein, Natascha, wenn ich dir helfen soll.«
    »Mein Gott«, sagte Natascha, »wie spät ist es?« Sie grub aus ihrer Handtasche eine kleine Uhr. »Schon sechs! Wir müssen in die Stadt zurück. Ich will dir sagen, was du tun sollst. Du mußt den Professor überzeugen, daß er sich an deinen Bruder wendet, und ihm alles erklärt. Du mußt dem Professor sagen, daß er den englischen Journalisten um Hilfe angehen soll, und in der Irrenanstalt sollen sie auf ihren Patienten aufpassen, auf den Nydecker; wirst du dich daran erinnern? Ich weiß, morgen gibt es eine große Aktion, ich möchte sie verhindern. Der Professor, ich will nicht, daß ihm etwas geschehen soll. Also, du weißt, was du zu tun hast?«
    »Sei ruhig, Natascha, ich will schon alles machen.«
    »Und du weichst nicht von des Professors Seite.« Natascha schauderte leicht. »Zwei Sterbende schon habe ich sehen müssen, ich will keinen dritten mehr sehen.«
    »Ruhig, Natascha, ich werde schon alles machen.«
    »Manchmal glaub' ich, ›sie‹ – wie Baranoff immer sagt –sind hinter mir her.«
    Die Sonnenstrahlen fielen schräg durch die Blätter der Lichtung, die Heuschrecken hatten die Motoren ihrer Doppeldecker abgestellt. Der Abend schien daran zu denken, seinen hellen Anzug gegen einen dunkleren zu vertauschen. In der Lichtung war es still geworden.
    Gräser sind geduldig. Wenn sie zu Boden gedrückt werden, richten sie sich wieder auf, und wenn der Abendtau sie nicht zu trösten vermag, so tut dies der Morgentau.
    Jakob sagte leise: »Ich will dir schon helfen. Also, ich soll… , aber das kannst du mir ja noch einmal auf dem Heimweg sagen. Ich will dir helfen«, bekräftigte er, »auch wenn ich draufgehen sollte.«
    »Nicht…«, sagte die Frau, »wer wird denn von Draufgehen sprechen. Ich werde ja da sein.«
    Jakob schnaubte befriedigt; es befriedigte ihn offenbar, beschützen zu dürfen und doch der Beschützte zu sein.
    Das Tram, das von Jussy in die Stadt zurückführt, muß um viele Kurven. Es schüttelt ihre Insassen gehörig durcheinander, denn die Schienen gehen manchmal über Felder oder über gesenkte Straßenstellen. Dieses Schütteln braucht nicht immer unangenehm zu sein. Und dann ist der Wagen, der um viertel vor sieben Uhr abfährt, meistens leer, ein flüsterndes Paar fällt nicht auf. Der Kondukteur hat genug mit der Abendausgabe seines Leibblattes zu tun, es kümmert ihn nicht, um was das Flüstern sich dreht. Um Politik oder um Liebe. Vielleicht um beides, aber das ist ihm ja gleichgültig.

6
    Simpson O'Key hatte Glück gehabt. Er hatte in Champel eine Wohnung gefunden, zwei Zimmer, Bad, Küche, das Ganze möbliert. Ein Landsmann von ihm, Englischlehrer, der in die Ferien gefahren war, hatte sie ihm überlassen. Charles, der Kammerdiener und Colonel, hatte ihm die Gelegenheit verschafft.
    O'Key stieg gedankenvoll die Treppen herab, trat auf die Straße und schlenkerte der inneren Stadt zu. Es war verschiedenes zu tun. Er mußte nach Bel-Air, überlegte er, und er freute sich darauf. Er mußte Madge fragen, was es mit dem Mann in weißen Tennishosen für eine Bewandtnis hatte. Vielleicht hatte Baranoff recht, und man konnte allerlei aus diesem Patienten herausholen. Aber wichtiger schien ihm, Madge wieder zu sehen. Er schüttelte den Kopf. Es konnte doch manchmal merkwürdig gehen im Leben. Da kam man nach Genf, ungern, denn die Ferien waren schön gewesen, und plötzlich traf man eine Frau, die man auf den ersten Blick gern hatte. »Fall in love«, nannte man das, »in die Liebe hineinfallen«. Es war ein Hineinfallen, aber ein schönes Hineinfallen. Und die Frau war noch dazu verlobt, aber das kümmerte sie nicht, sie zeigte deutlich, daß man ihr gefiel, und der andere, der offizielle Verlobte, sollte sehen, wie er zurecht kam. Grausam eigentlich gegen den armen Thévenoz. Aber schließlich, dem Mann war nicht zu helfen. O'Key fand, daß seine

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