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Der Tee der drei alten Damen

Der Tee der drei alten Damen

Titel: Der Tee der drei alten Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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ich weiß, aber das sind alles bürgerliche Hoheiten, die nicht viel zu bedeuten haben. Die haben sich alle mit dem Munde in die Höhe geschafft, aber jetzt – jetzt, mein Freund, haben wir einem waschechten Prinzen von uraltem Adel unsere Gastfreundschaft gewährt. Dem Maharaja Jam Nagar. Lauter ›a‹ in seinem Namen. Es klingt wie ein gelber Trompetenruf, finden Sie nicht auch? Ja, auch ich war einmal Dichter, aber das ist fern. Schöne Namen, wie aus einem parnassischen Sonett, vermag ich aber auch jetzt noch zu schätzen. Der Maharaja Jam Nagar! Welch schöner Name!«
    »Der ist in Genf?«fragte O'Key, und der Mund blieb ihm offen. Der Whisky hatte seine Kaltblütigkeit untergraben. Und in seinem Kopfe war ein großes Chaos. Wußte der Colonel diese Tatsache? Daß der vertriebene Prinz in Genf war? Er sah den listigen Blick des Staatsrates Martinet auf sich gerichtet und beherrschte sich.
    »Da staunen Sie, Master O'Key. Aber ich teile Ihnen dies nur zur privaten Orientierung mit. Der Maharaja ist natürlich inkognito hier. Nennt sich George Whistler und hat eine Villa gemietet, die Villa des alten de la Rive, die seit Ewigkeiten leer steht. Auch ganz einsam liegt sie, draußen an der Straße, die nach Jussy führt. Er hat nur zwei Diener. Ich habe es durch Zufall erfahren, durch einen Zufall. Wissen Sie, uns Brüdern , auch wenn wir den andern noch so lächerlich erscheinen, uns Brüdern bleibt nichts verborgen. Wir verstehen uns, lieber Freund, nicht wahr? Aber interessant ist die Sache doch, oder? Denn zu gleicher Zeit beherbergen wir ja den Verweser jenes Randstaates, den berühmten Sir Avindranath Bose. Merkwürdig demokratischer Mann, der verehrte Sir Bose, finden Sie nicht auch? Schließt Freundschaften mit alten Köchinnen. Jaja, man hat's nicht leicht, wenn man das Departement für Justiz und Polizei unter sich hat. Graue Haare könnte man bekommen. Gut, daß der eigene Haarboden unfruchtbar geworden ist. Sonst…« Und Herr Martinet fuhr sich mit dem Seidentüchlein über die blankpolierte Glatze.
    »Ich wundere mich«, sagte O'Key, der ganz nüchtern geworden war, »ich wundere mich, Herr Staatsrat, über Ihre hervorragende Kombinationsgabe. Warum sind Sie nicht… Diplomat geworden?«
    »Sie wollten etwas anderes sagen, Master O'Key. Warum sind Sie nicht bei uns, wollten Sie sagen und meinten das ›I.S.‹, habe ich nicht recht? Junger Freund wozu? Ich handle nicht gern. Ich bin Zuschauer. Ich ärgere gern die Leute, alles Eigenschaften, die gut zu einem Politiker passen. Ich habe Vermögen, was will ich mehr? Wie sagte Cäsar? Lieber der Erste in Genf als der Zweite in London. Oder so ähnlich. Ich bin der Erste hier. Meine Kollegen von den andern Departements? Sie hassen mich. Der Große Rat haßt mich, einstimmig haßt er mich, aber er braucht mich. Mein Lieber, merken Sie sich das. Ohne Schieber kommt man in der Politik nicht aus. Wenn ich Schieber sage, ist das ein grobes Wort. Ich meine einen Menschen, der allerhand weiß und das allerhand Wissen auch zu verwerten vermag. Wenn die Leute etwas brauchen, zu wem kommen sie? Zum dicken Martinet! Jaja. Weiß der Kollege vom Erziehungsdepartement nicht, wie er einen unliebsamen Lehrer, der in der Schule Sozialpolitik treibt, am besten los wird, dann können Sie zehn zu eins wetten, daß er den Papa Martinet antelephoniert. Ich gebe Ihnen das nur als Beispiel. Wenn Sie einmal nicht ein- und aus wissen, ich will Ihnen lieber auch meine Telephonnummer geben. Hier ist sie.« Herr Martinet zog aus der hinteren Hosentasche unter vielen Seufzern eine Lederbrieftasche, kramte in alten Rechnungen, Postchecktalons und fand schließlich ein schmutziges Stückchen Papier. »Leicht zu merken, drei mal drei ist neun, und auch von hinten gelesen, gibt die Nummer das Gleiche. 33 9 33. Und dann will ich Sie nicht länger aufhalten. Leben Sie wohl, junger Freund, begeben Sie sich halt nicht in Gefahr, damit die schönen Augen einer kleinen Ärztin nicht zu tränen brauchen. Leben Sie wohl.«
    Die Hand Herrn Martinets war klein und trocken, zierlich fast, im Vergleich zu dem massigen Körper. O'Key fühlte etwas wie Respekt für den dicken Mann, der so lächerlich aussah. Aber dumm war er nicht, der Herr Staatsrat Martinet. Und noch war O'Key keine zehn Schritte gegangen, so hörte er:
    »Master O'Key, ich habe noch etwas vergessen.«
    Herr Martinet winkte ihn ganz nahe heran, er machte Zeichen, bis O'Key sein Ohr fast vor den Mund des Staatsrates gebracht hatte.

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