Der Tee der drei alten Damen
lächelte. Für ihn waren alle Staatsmänner, außer den britischen, Provinzpolitiker.
Herr Martinet stöhnte, als werde er von einem bösen Traum heimgesucht. Er öffnete seine Schweinsäuglein und sagte trübe:
»Sie haben doch die Bekanntschaft meines dichtenden Staatsanwaltes gemacht? Ja? Ein schwer zu behandelnder Herr. Reizbar und störrisch, wie ein alter Maulesel. Ja, die mageren Leute in der Politik, die sind eine arge Plage. Kein Verständnis, kein Fingerspitzengefühl, keine Gemütlichkeit. Mit dem Kopf durch die Wand, wenn sie überzeugt sind von einer Idee, und sie leiden alle an chronischer Überzeugtheit. Furchtbare Krankheit. Uns dicke Männer schätzen sogar die großen Dichter, wenigstens habe ich einmal bei Shakespeare etwas Ähnliches gelesen. Wissen Sie, was der dürre de Morsier mit der Baskenmütze im Sinne hat? Unsern Professor Dominicé zu verhaften. Einfach einsperren will er den alten Mann, unsere internationale Berühmtheit…«
»Aber er hat doch vorher immer…«
»Natürlich hat er vorher immer. Diese Art Leute hat ›vorher immer‹ irgendeine Ansicht gehabt aber wehe, wehe, wenn sie diese Ansicht geändert haben, ›Mein lieber Procureur‹, habe ich ihm gestern gesagt, ›passen Sie auf, Sie werden sich blamieren, überschlafen Sie die Sache.‹ Vergeblicher Rat! Solche Leute leiden immer an Schlaflosigkeit. Wie sagt schon der große Dichter? Dicke Männer und die nachts gut schlafen. Ich schlafe gut, lieber Freund, Gott sei Dank. Aber wissen Sie, was mir dieser Staatsanwalt geantwortet hat? ›Ich werde kein Auge zutun‹, hat er gesagt, ›bis ich nicht der Gerechtigkeit zum Sieg verholfen habe.‹ Immer poetisch diese Leute, immer überspannt. ›Mein Gewissen!‹ hat er ausgerufen, ›mein Gewissen gebietet mir!‹ – und so weiter, und so weiter. Sie kennen ja den Refrain. Auguste!« rief Herr Martinet, »das Gleiche noch einmal. Trinken Sie aus, lieber Freund. Wir müssen unsern Flüssigkeitsverlust kompensieren. Gott helf mir, ist das eine Hitze! Äpfuuhh!«
»Ist das Bier frisch, Herr Staatsrat?« erlaubte sich Auguste zu fragen.
»Jaja, Auguste, ausgezeichnet. Grüßen Sie den Patron. Ich komme heute abend zu meinem gewohnten Piquet, sagen Sie ihm das. Und er soll eine Flasche Neuenburger aufs Eis legen. Bei dieser Hitze! Am Abend trinke ich lieber Wein. Es ist gut, Auguste, ich danke Ihnen, mein Freund. Ich glaube, Sie werden gerufen. Ja, Herr Journalist, das sind so Sachen. Ich habe einen Aufschub herausgeschunden bei unserm Staatsanwalt. Bis morgen. Morgen soll der Professor verhaftet werden. Natürlich nur unter uns. Ich erzähle Ihnen das, um zu demonstrieren, wie schwer es ein gerechter Mann in unserer Stadt hat. Sie sind Zuschauer. Gewissermaßen handelnder Zuschauer. Und ich habe Vertrauen zu Ihnen. Die Empfehlung, die Sie mir überbrachten, stammte von einem guten Freunde, einem Bruder, möchte ich sagen. Mein Gott, mein Gott, diese Hitze! Und nun soll ich mich in mein Bureau begeben. Übrigens, was ich noch sagen wollte… ja, wir haben ein paar ganz gute Advokaten in dieser Stadt. Diplomatische Leute, die nicht immer gerade Fensterscheiben zertrümmern müssen. Da haben wir zum Beispiel einen gewissen Isaak Rosène, den ich Ihnen sehr empfehlen kann. Ein tüchtiger Junge, in der Politik daheim, jaja. Falls Sie einen Rat brauchen sollten…«
»Danke, Herr Staatsrat«, sagte O'Key, seine Stimme kam ihm seltsam fern vor, der Whisky begann zu wirken. Der dicke Herr vor ihm, mit seiner öligen Beredsamkeit, war ungemein sympathisch. O'Key spürte Anwandlungen, ihm auf den Bauch zu klopfen, aber das ging nicht an. Er war ein großer Mann in der Genfer Politik, Freimaurer, darum hatte er von einem »Bruder« gesprochen, hatte sicher in dieser Versorgungsgenossenschaft auf Gegenseltigkeit einen hohen Grad inne, und plötzlich platzte O'Key los. Es war ein stummes Lachen, das seinen Körper schüttelte. Er hatte sich Herrn Martinet in Ordenstracht vorgestellt, mit dem kleinen Lederschurz über dem dicken Bauch.
»Lachen Sie, mein junger Freund«, sagte Herr Martinet und blinzelte mit seinen klugen Schweinsäuglein. »Lachen ist gesund, und wenn Sie auch über mich lachen, so schadet es nichts. Sehen Sie, ich habe diverse Abmagerungskuren probiert, aber mir nur den Magen verdorben und den Schlaf verloren. Jetzt habe ich mich damit abgefunden. Wissen Sie übrigens, daß wir seit drei Wochen hohen Besuch in unsern Mauern haben? Wir haben ja ständig hohen Besuch,
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