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Der Tee der drei alten Damen

Der Tee der drei alten Damen

Titel: Der Tee der drei alten Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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macht sich dieser sogenannte Idealismus vielleicht noch gut, aber heutzutage regieren die Tatsachen. Die Tatsachen aber sind folgende: Sie haben Schulden, Sie sind Morphinist, Sie haben unerlaubte Experimente gemacht. Nehmen Sie an – nehmen Sie nicht an, mir kann's gleich sein. Ich finde schon andere Wege, um ans Ziel zu kommen. Aber ich mache Ihnen einen guten geschäftlichen Vorschlag, nicht, weil Sie mir besonders sympathisch sind, sondern weil dies ein leichterer Weg für mich ist. Nehmen Sie nicht an… bitte. Dann erscheint morgen in der ›Tribune‹ oder in der ›Suisse‹ ein anonymer Artikel über Sie. Tun Sie, was Sie wollen. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich, sagen die Deutschen, und die müssen es ja wissen, denn sie haben seit etwa einem Jahrhundert den Himmel metaphysisch exploriert.‹ Der Professor kehrte sich ab. Er legte den großen Kopf auf die Schreibtischplatte, sein Haar schimmerte unter der Lampe – es sah ein wenig nach Pose aus, aber vielleicht war es doch echt, wenigstens zuckten seine Schultern so, als unterdrücke er ein Schluchzen. Dann hob der Professor wieder den Kopf. ›Gut‹, sagte er nur, ›einverstanden.‹ Vor der Türe knackte etwas. Baranoff sprang auf, riß die Türe auf. Es war dunkel im Gang, niemand zu sehen. ›Es ist ein altes Haus‹, sagte der Professor, ›die Dielen knacken oft.‹ Baranoff sah ihn mißtrauisch an. ›Schläft Ihre Haushälterin manchmal in der Wohnung?‹ – ›Jane? Nein. Die ist schon lange fortgegangen. Ich habe gehört, wie sie die Wohnungstür abgesperrt hat.‹ ›Dann haben Sie schärfere Ohren als ich. Schreiben Sie‹, sagte Baranoff dann zu mir. Er diktierte rasch eine Zusammenfassung der Unterredung, die einem Geständnis gleichkam. Ich hatte meine Maschine mitgebracht, und schrieb das Ganze ins Reine. Baranoff und der Professor unterzeichneten. ›Ein Exemplar erhalten Sie, eins behalte ich, das dritte deponiere ich an einem sicheren Ort, mit der Weisung, es der Staatsanwaltschaft einzusenden, falls mir plötzlich etwas zustoßen sollte. Ich habe meine Erfahrungen gemacht mit Leuten, die sich gerne mit Giften beschäftigen‹, sagte Baranoff noch. ›Sie haben jetzt auch eine Waffe gegen mich in der Hand, Sie können mich wegen Erpressung anzeigen, aber Sie werden es wohl nicht tun.‹ Jetzt war wieder deutlich das Knacken draußen vor der Türe zu hören. Aber wieder war der Gang leer, als Baranoff die Tür aufriß. ›Das gefällt mir nicht‹, sagte er. ›Wir wollen gehen.‹ Das war die erste Szene dieses Trauerspiels.«
    Die Voirons, jener Höhenzug, der aussieht wie ein behaglich hingelagerter Riese, über und über schwarz behaart, schickten Windstöße als Botschafter zum See, um ihm zu verkünden, der Abend sei nahe. Langsam stand Jakob auf, wie ein Mann, den man mit einem schweren Sack bepackt hat und der sich nun aufrichten muß. Er machte ein paar Schritte – sehr unsicher waren sie – bis zu den ersten Stämmen der Lichtung, kehrte dann wieder zurück und ließ sich zu Boden fallen. Natascha packte die mageren Knabenschultern. »Siehst du«, sagte sie, »das war das Schwerste, was jetzt kommt, ist nur halb so schlimm. Und dann kann ich dir auch sagen, wie du mir helfen kannst. Wenn du es noch willst.«
    Sie ließ ihre Hände über die Schultern zum Hals wandern, dann hielt sie den Kopf gepackt, drehte ihn, trotz seines Sträubens, zu sich und blickte lange in die Augen Jakobs. Der Blick hatte eine sonderbare Wirkung, Jakob riß sich los, begann zu weinen, das Gesicht ins Gras vergraben. »Mein Kleiner«, sagte die Frau, »tut es weh? Ja, es tut vielleicht weh, wenn man Bilder zertrümmert, aber es ist sicher notwendig. Du hast immer so vom Professor geschwärmt, vom ›Meister‹, wie du gesagt hast, und mich hast du auch anders gesehen, nicht wahr? Ist es das?« Jakob nickte eifrig, ein trockenes Schluchzen ließ die hervorstehenden Schulterblätter auf und ab hüpfen. Natascha hob wieder Jakobs Kopf, sie küßte die geschlossenen Augen, nahm ihnen die Tränen weg. Ihre Lippen waren weich, auch die Haut ihrer braunen Arme. Jakob wurde ruhig.
    »Und nun willst du mich hassen?« sagte die Frau, die in Genf unter dem Namen Kuligina auftrat, die Agentin Dreiundachtzig, die sich Mühe gab, Politik und Liebe auf einen Nenner zu bringen, die vielleicht (wir wissen es nicht, aber anzunehmen wäre es ja) die Genossen Uljanoff und Braunstein persönlich gekannt hatte, – und vielleicht hätten diese asketischen

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