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Der Tee der drei alten Damen

Der Tee der drei alten Damen

Titel: Der Tee der drei alten Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Regenguß trommelte auf die Blätter und der Geruch von feuchter Erde brachte Entspannung in die geladene Luft des Zimmers.
    Es klopfte. Der Mann mit dem gelben Gesicht und dem Chinesenschnurrbart trat ein. Er verbeugte sich schweigend, ein Lächeln schien unter seinem Schnurrbart zu zittern, Madge blickte ihn mißbilligend an.
    »Am besten ist es, Sie geben Nydecker eine Spritze, acht Zehntel Kubik Moscop. Nicht mehr. Und dann soll er schlafen. Es wird das beste sein.«
    »Gewiß, Fräulein Doktor, acht Zehntel. Jawohl. Corbaz ist übrigens sehr aufgeregt. Er hat einen Stuhl auseinandergerissen und ist auf mich losgegangen. Er ist jetzt im Bad. Vielleicht auch ihm eine kleine Spritze?«
    Während er sprach, rieb sich der Oberwärter die glatten, mageren Hände, deren Haut genauso gelb war, wie die des Gesichts. Seine Rede war von jener untertänigen Höflichkeit, die zu Ohrfeigen oder noch anderen Brutalitäten aufzufordern scheint.
    »Corbaz?« fragte Madge, dachte einen Augenblick nach und sagte, zu O'Key gewandt, mit einem kümmerlichen Lächeln: »Alle Mieter der Jane Pochon sind heute aufgeregt. Vielleicht fühlen sie ihre Nähe.«
    »Das kann gut möglich sein«, antwortete O'Key ernst. Er war damit beschäftigt, Ronny durch Tätscheln zu beruhigen, denn es war zu befürchten, daß der Hund seine Wut an dem unschuldigen Oberwärter auslassen könnte.
    »Kommen Sie, Nydecker, machen Sie keine Geschichten«, sagte der Mann mit der gelben Gesichtshaut (übrigens hieß er Jaunet und war als geizig bekannt), und seine Stimme war gar nicht mehr höflich. Nydecker kroch in sich zusammen.
    »Gehn Sie mit dem Chef, Nydecker«, sagte Madge sanft. Sie sollte sich noch lange an das tiefe Aufseufzen des kleinen Mannes erinnern und an seine letzten Worte: »Monsieur Pierre geht schon.«
    Denn es vergingen kaum zehn Minuten (und Schweigen herrschte während dieser Zeit, O'Key hatte den Arm um Madges Schultern gelegt und streichelte bisweilen ihr blondes kurzes Haar), da schrillte die Klingel des Tischtelephons.
    Madge sprang auf. »Ja«, sagte sie. Sie lauschte eine Weile, verzog ihr Gesicht. »Ich komme, ja, ich komme!«
    Sie legte den Hörer langsam ab, stand einen Augenblick wie geistesabwesend, raffte sich auf, ging zum Spiegel, fuhr mit dem Kamm durch ihr Haar, blickte lange vor sich hin.
    »Was ist los?« fragte O'Key.
    »Nydecker stirbt«, sagte Madge leise. »Vielleicht bin ich dran schuld.«
    »Dummheiten«, sagte O'Key ärgerlich. »Wie sollen Sie dran schuld sein?«
    »Der Chef sagte, Nydecker habe die Spritze nicht vertragen. Es seien Lähmungserscheinungen aufgetreten, Atemnot. Das Herz war wohl schwach.«
    »Was ist denn in solch einer Spritze enthalten?« wollte O'Key wissen.
    »Sie ist sonst harmlos. Nicht ganz zwei Hundertstel Gramm Morphium und die Scopolaminlösung ist glaube ich 1 pro Mille. Ich verstehe es wirklich nicht. Ich habe Nydecker doch untersucht, das Herz war in Ordnung. Ich verstehe es nicht.«
    »Merkwürdig«, sagte O'Key. »Merkwürdig, dieser Tod nach dem Gesang.«
    Trotz der Warnung seiner Freundin, versuchte O'Key wieder zu raten, und er riet nicht daneben, diesmal wenigstens nicht. Die Bestätigung seines Verdachtes sollte er jedoch erst am Abend des gleichen Tages erhalten. Da wurde ihm der Wortlaut des Telephongespräches mitgeteilt, das Baranoff (Agent Zweiundsiebzig) am Vortage mit einem Angestellten der Anstalt Bel-Air gehabt hatte.

7
    »Setzen Sie sich, Irokese, es ist schön, daß Sie sich meiner erinnern. Ich habe Ihnen heute morgen angeläutet, aber Sie waren schon ausgegangen«, sagte Kommissar Pillevuit und streckte O'Key die Hand über den tannenen Schreibtisch entgegen. »Sie müssen entschuldigen, wenn ich nicht aufstehe. Das Wetter ist daran schuld, mich plagt die Ischias.«
    »Bitte, bleiben Sie nur sitzen, ich werde mir einen Stuhl nehmen, ich bin müde, und dann möchte ich Sie fragen, ob wir ungestört eine halbe Stunde sprechen können, ich habe mehrere sonderbare Neuigkeiten für Sie.«
    »Ich auch, ich auch«, sagte Pillevuit sorgenvoll und massierte seine Augendeckel. »Es ist viel Unerquickliches geschehen. Aber Sie haben ganz recht, das Bureau eines Kommissars ist ein ungeeigneter Ort für Vertraulichkeiten; wie spät ist es wohl? Was, halb drei? Und ich habe noch nicht einmal zu Mittag gegessen. Wollen Sie mir Gesellschaft leisten? Ein Glas Wein kann man immer vertragen. Kommen Sie!« Pillevuit stand auf, nahm seinen breitkrämpigen grauen Hut vom Ständer und

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