Der Tee der drei alten Damen
humpelte zur Tür. »Der Ärger und das Wetter!« sagte er dabei. »Man wird alt, O'Key. Mir ist traurig zumute.«
»Mir auch, Kommissar, und auch ich habe noch nicht zu Mittag gegessen. Wir werden wieder in die kleine Pinte gehen, die Sie mir einmal zeigten, dort können wir in Ruhe sitzen und unsere Angelegenheiten besprechen.«
»Gut, gut«, sagte der Kommissar, dann seufzte er laut. »Sie morden nicht nur in unserem braven Genf, sie brechen auch ein. Und ausgerechnet bei einem Ausländer, übrigens bei einem Landsmann von Ihnen hat man letzte Nacht eingebrochen. Aber merkwürdigerweise nichts gestohlen. Es sieht mehr so aus, als hätten sich die Diebe, denn es waren sicher mehrere, nur über die Örtlichkeit orientieren wollen, um später einmal wiederzukommen. Brr, ist das ein Wetter!«
Der weißgraue Himmel schmolz wie eine schmutzige Schneedecke, und der Regen fiel dicht und alles durchdringend. Pillevuit spannte seinen Schirm auf, und dadurch ähnelte er noch mehr jenen langbärtigen Zwergen, die, zusammen mit bunten Glaskugeln, die sinnige Dekoration kleiner Gärten bilden.
»Und wie heißt mein unglücklicher Landsmann?«
»Unglücklich ist er ja gerade nicht«, antwortete Pillevuit, »ich halte ihn für sehr reich. Und reiche Leute bilden sich ihr Unglück gewöhnlich nur ein. Aber traurig sah er aus, das muß ich immerhin feststellen. Von Sorgen belagert, ja. Übrigens heißt er George Whistler und wohnt in der Nähe von Presinge, im alten Landhaus des Herrn Delarive.«
»So, George Whistler«, sagte O'Key nur. Aber er schien seine Stimme dennoch nicht ganz beherrscht zu haben, denn der kleine Kommissar fragte erstaunt:
»Kennen Sie ihn etwa auch?«
»Auch? Was meinen Sie mit auch?« wich O'Key aus.
»Ach, ich meinte nur so«; Pillevuit stieg die beiden Stufen hinab, die in die kleine Pinte führten, schüttelte seinen Schirm aus und hängte seinen Hut auf. Dann ging er händereibend auf ein Tischchen zu, das nahe am Fenster stand. Die Pinte war leer. Der Patron erschien mit einer weißen Mütze auf dem Kopf, grüßte kameradschaftlich und schlug den beiden vor, ein kleines Menü zusammenzustellen. Eine Omelette aux champignons zum Beispiel, Kalbsleber nachher mit grünen Erbsen und Pommes frites und als Dessert einen Käse. Das gehe alles schnell.
»Jaja«, sagte O'Key ungeduldig. »Und mir bringen Sie irgendein Mineralwasser und dem Kommissar seinen Lieblingswein.«
»Sind Sie etwa gar Temperenzler geworden, lieber Irokese?« fragte Pillevuit. O'Key erklärte, er sei heute morgen zu einem übermäßigen Genuß von Whisky verführt worden und er brauche einen klaren Kopf. Wer ihn denn verführt hätte? wollte Pillevuit wissen. Staatsrat Martinet, lautete die Antwort.
»Eben auf diesen Herrn bezieht sich mein ›auch‹«, sagte Pillevuit. »Martinet scheint diesen George Whistler auch zu kennen, gut zu kennen sogar. Denn der Herr Staatsrat hat mich um elf Uhr auf sein Bureau kommen lassen und mir die Untersuchung über den Einbruch übertragen. ›Takt‹, hat er gesagt, ›mein lieber Kommissar, ich weiß, Sie besitzen Takt. Herr George Whistler ist ein einflußreicher, ein reicher Mann, mir sehr warm empfohlen, und ich möchte, daß alles getan wird, um diesen Herrn zu schützen. Begreifen Sie, lieber Kommissar?‹ Nun, wenn der Herr Staatsrat von jemandem spricht, der ihm warm empfohlen worden ist, so kann man zehn gegen eins wetten, daß der Empfehler ein Drei-Punkte-Bruder ist, ein Freimaurer. Aber das geht mich schließlich nichts an. Auf Ihr Wohl, Irokese, und blicken Sie nicht so trüb drein. Liebeskummer?«
»Nein, nein, wo denken Sie hin, Kommissar.« O'Key trank einen Schluck Vichy, verzog den Mund. »Bitte, schenken Sie mir etwas von Ihrem Wein, so, danke. Mineralwasser erinnert mich immer an Karlsbadersalz. Was ich sagen wollte… Die Kalbsleber ist ausgezeichnet. Nicht wahr? Und dieser Einbruch?«
»Bedeutungslos, soweit es die Feststellungen betrifft. Eine Hintertür, die mit einem Nachschlüssel geöffnet worden ist, verwischte Abdrücke staubiger Schuhe im Salon, und diese Abdrücke sind auch vor der Tür des Schlafzimmers festzustellen, die, wie mir Whistler mitteilte, stets verschlossen ist. Sonst nichts. Ich habe den Herrn gefragt, ob ich ihm eine Leibwache dalassen solle, man kann sich doch nicht lumpen lassen, wenn als empfehlende Instanz ein Herr Staatsrat auftritt – aber der Whistler wollte nichts davon wissen. Da bin ich wieder zurückgefahren. Hätte ich doch nur
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