Der Tee der drei alten Damen
schlich auf Fußspitzen zur Salontüre und preßte ihr Ohr an die Füllung. Zuerst behielt ihr Gesicht das spöttische Lächeln bei, wurde aber langsam ernst, fast finster. Gebieterisch winkte sie mit dem Finger, bis auch Jakob neben ihr stand und ebenfalls das Ohr an die Türfüllung hielt.
Zuerst war das Gemurmel nicht recht verständlich. Dann aber merkte auch Jakob plötzlich auf. Der Name Dominicé war gefallen und alles, was den Professor anging, interessierte Jakob. Der Name war von einer fremden Stimme gesprochen worden, fragend, mit einem scharfen, schneidenden Ton. Dann klang deutlich Fräulein Sorels Papageiengeplapper.
»Vor dem haben Sie Angst, liebe Freundin? Keine Ursache. Den halten wir so…« Fräulein Sorel mußte eine sehr komische Geste gemacht haben, denn ein Lachen klang auf, eintönig, und gerade durch diese Eintönigkeit wirkte es grausam. Dann sprach die Lacherin und ihre Worte waren verständlich.
»Und Thévenoz?« fragte sie, »was fangen wir mit Thévenoz an? Finden Sie nicht, liebe Freundin, daß der Mann langsam unbequem wird?«
»Und wenn«, plapperte die Stimme Fräulein Sorels, »und wenn er unbequem wird, so laden wir ihn eben einfach zum Tee ein. Hehehe.«
»Hihihihi«, lachte die andere. Jakob verstand nicht, was an einer Einladung zum Tee so Komisches war.
»Der Meister hat mir übrigens aufgetragen, auch diesen fremden Engländer, der draußen vor der Stadt wohnt, an einem Abend oder Nachmittag einzuladen. Er möchte sich sein Haus näher ansehen«, sagte die fremde Stimme.
»Dann laden wir ihn auch einmal zum Tee ein, nicht wahr?« Es war Fräulein Sorel, die sprach.
»Ja, ja, gewiß. Aber wir werden neuen Tee bestellen müssen, meine Liebe, unser Vorrat geht zur Neige.«
»Nun, darum wird sich der Meister schon kümmern. Schade, daß unser Hauptlieferant uns untreu geworden ist.«
»Untreu geworden!« rief die fremde Stimme, »Sie haben wirklich wunderbare dichterische Ausdrücke. Aber wer weiß, vielleicht ist er uns treu geblieben. Vielleicht sehen wir ihn nächstens. Unser junger Freund hat so ausgezeichnete Gaben.«
»Ja«, hörte man Fräulein Sorel erwidern, »die hat er von seiner Mutter geerbt. Übrigens, meine Liebe, ich denke eben daran, ich muß Sie mit meiner entzückenden kleinen Freundin bekannt machen, einem jungen russischen Mädchen, die uns wahrscheinlich…«, die Stimme ging in ein Flüstern über; Natascha riß ihren Freund an der Hand zum Tisch, setzte sich, und Jakob hatte Geistesgegenwart genug, ein harmloses Gesicht zu schneiden und Nataschas Hand zu streicheln. Nur in seinen Augen blieb ein ängstliches Flimmern zurück. Da öffnete sich auch schon die Tür, Fräulein Sorels kurze Gestalt erschien, und hinter ihr ragte auf, sehr lang, sehr mager, eine Dame in violettem Seidenkleid.
»Nein, sehen Sie, wie entzückend«, plapperte Fräulein Sorel. »Ist es nicht wie in den ›Noce di Figaro‹, Cherubin und die Herzogin!« Und sie begann mit hoher, schriller Stimme die Arie zu trällern, auf Italienisch noch: »Voi che sapete, ehe cosa è l'amor…« Es klang schaurig. »Liebste Natascha«, fuhr sie fort, »darf ich Ihnen eine alte Freundin vorstellen: Frau de Morsier.«
Frau de Morsiers Gesicht wirkte wie eine Maske: es war starr, und auch das Lächeln, das um die Lippen lag, schien angeschminkt. Nur die Augen (in der Farbe an treibende Eisschollen in einem Fluß erinnernd) waren wachsam, beweglich. Sie reichte zuerst Natascha eine lange Hand, die sich kalt und ein wenig klebrig anfühlte, dann begrüßte sie Jakob.
»Ich kenne Ihren Bruder, junger Mann«, sagte sie dabei, »er wird sich wohl meiner erinnern, aber es ist vielleicht besser, Sie sprechen nicht von mir.« Worauf Jakob sich vornahm, bei erster Gelegenheit Isaak zu fragen, was es mit Frau de Morsier für eine Bewandtnis habe. Er hatte unterdessen Nataschas Hand losgelassen, blickte seine Freundin fragend an, erhob sich auf einen Blick von ihr und verabschiedete sich. Er sah noch, wie Frau de Morsier sich am Tisch niederließ und eifrig auf Natascha einsprach. Dann schloß Fräulein Sorel die Tür hinter ihm.
Professor Dominicé hielt seine Vorlesungen in dem, nach der Aula, nächstgrößten Saal der Universität. Er hatte viel Publikum, und zwar sehr gemischtes. Neben eleganten, parfümierten Damen, die in der ersten Reihe der amphitheatralisch aufsteigenden Bankreihen saßen, ehrliche Philosophie- und Theologiestudenten. Auf den hintersten Reihen, ganz nahe an der
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