Der Tee der drei alten Damen
in die geöffnete Tür eines dastehenden Taxameters, dessen Motor leise brummte. Die Tür schlug zu, der Wagen nahm einen Sprung vorwärts und O'Key blieb am Rande des Gehsteiges stehen und wischte sich die Stirn. Er hatte nur einen kurzen Blick in den Wagen werfen können. Ein Mann saß darin, das Gesicht im aufgeschlagenen Kragen des Regenmantels verborgen. O'Key hatte deutlich die herrische Bewegung gesehen, mit der der Mann dem Burschen die Mappe entrissen hatte.
O'Key war ärgerlich, daß er sein Motorrad in der Obhut des Polizisten Malan zurückgelassen hatte. Er hatte gemeint, er würde es nicht brauchen, während dieser kurzen Suche. Und als er nun verärgert in der Richtung weiter ging, in der das Taxi verschwunden war, wen traf er an der Ecke des Grand Quai?
»Simp«, sagte der Mann mit dem steifen Hut, »Simp, es ist gut, daß ich dich treffe. Mein Alter ist mir gerade vor der Nase in einem Auto davongefahren. Und weißt du, wer bei ihm war? Du wirst es nie erraten.«
»Doch«, sagte O'Key, noch immer ein wenig atemlos. »Der Sohn der Witwe Pochon.«
»Kannst du Gedanken lesen, Simp? Und warum keuchst du so? Willst du Nurmi schlagen?«
»Nein, Colonel«, sagte O'Key ärgerlich, es war ihm gar nicht spaßhaft zu Mute. »Aber die Geschichte wächst mir wahr und wahrhaftig zum Hals hinaus. Mit vieler Mühe habe ich aus einem Verrückten herausgebracht, wo die Mappe versteckt war, die am Abend von Crawleys Ermordung verschwunden ist, will sie holen, und da kommt mir dieser unheimliche Bengel zuvor. Und fährt mit deinem Alten davon.«
»Reg' dich nicht auf, alter Junge«, sagte der Colonel, »nach Regen folgt Sonnenschein und es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht ist, und auch das schöne Sprichwort darfst du nicht vergessen: Wer andern eine Grube gräbt, hat wohlgetan. Es ist alles in Ordnung. Es wird sich alles klären.«
O'Key blickte seinen Begleiter erstaunt an, blieb sogar eine Sekunde zögernd stehen, so, als überlege er sich, ob er weitergehen solle. War das beim Colonel eine Art Greisenverblödung? Es war doch sonst nicht seine Art, soviel leeres Geschwätz von sich zu geben. Bis O'Key merkte, daß Charles Blick wie gebannt auf dem Rücken eines Mannes klebte, der vor ihnen, scheinbar unbekümmert, einherschritt.
Er war gar nicht weiter auffällig, dieser Mann, wenigstens von hinten nicht. Ein langer schwarzer Gehrock fiel bis zu seinen Knien, der weiße, ovale Strohhut war ins Genick geschoben. Der Gang des Mannes war allerdings nicht ganz alltäglich. Trotz der Hitze hatte der Herr die Hände tief in den Hosentaschen vergraben und ging einher, mit weitausholenden Schritten, einem Bergsteigerschritt vielleicht, aber dagegen sprach die sonderbare Angewohnheit, die der Mann hatte, gespreizt zu gehen, so, als trage er unsichtbare Sporen. Charles salbaderte weiter:
»Denn immer mußt du dir vor Augen halten, lieber Junge, daß wir hier in einer Stadt sind, die der Welt jene merkwürdig mohammedanische Abart der christlichen Religion geschenkt hat, die man Calvinismus nennt. Weißt du, Prädestination und solche Tücken. Praktisch, gewiß, aber…«
»Wer ist der Mann, dem wir folgen, Colonel?«
»… aber immerhin gefährlich. Nein, Simp, ich bin noch nicht ganz vertrottelt, aber aufgeregt, denn bald, Simp, sehr bald, wird es zum Klappen kommen. Du willst wissen, wer der Mann da vor uns ist? Ich habe ihn gestern schon getroffen und bin erschrocken. Habe ich dir nicht von einem Missionar erzählt, der aussieht, als käme er direkt aus dem ›Regen‹ von Somerset Maugham. Weißt du, das Stück handelt von einem Missionar auf der Südseeinsel, der eine unordentliche Frauensperson bekehren will und dann aber von ihr bekehrt wird, worauf er Selbstmord begeht. Du kennst doch die Geschichte? Sieh dir den Mann vor uns deutlich an. Das ist der Amerikaner, der Delegierte der Standard Oil dort in unserem Randstaat. Der meinen Alten herumgekriegt hat. Der den jungen Fürsten vertrieben hat. Ja. Und mit dem Gottesmann habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen. Aber ich habe Geduld. Ich habe noch nicht herausfinden können, wo er wohnt, darum gehe ich ihm immer nach, einmal werde ich ihn schon zu fassen kriegen. Gestern ist er mir in einem Taxi entschlüpft. Ich möchte wissen, wo er heute hingeht.«
Da bog der Fremde in die Place de la Fusterie ein. Und bei dieser Schwenkung konnte O'Key das Gesicht sehen , im Profil nur. Die Haut war braun, sehr sonnverbrannt, wie sie bei Leuten häufig ist, die
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