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Der Tee der drei alten Damen

Der Tee der drei alten Damen

Titel: Der Tee der drei alten Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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an den Mauern angeklebt. In jedem Stock läuft eine Holzgalerie rund um das Viereck. Die Witwe Pochon bewohnte im dritten Stock drei Zimmer mit Küche. Große Zimmer, aber mit Gerümpel vollgepfropft. Ich verlangte das Zimmer Corbaz' zu sehen. Es sah aus, als sei es geplündert worden. Ein Leintuch lag zerrissen in einer Ecke. ›Er hat sich stark gewehrt‹, teilte mir die Witwe Pochon mit. ›Das glaube ich, liebe Frau, aber wo ist das Geld?‹ Ich hätte lieber nicht fragen sollen. Denn es folgte eine Explosion, ähnlich der, die Sie im Palais miterlebt haben. Ich war froh, als ich wieder draußen war. Mein Freund, glauben Sie mir, ich verhafte lieber einen siebenfachen Raubmörder als die Jane Pochon. Die Geschichte ist dann auf Befehl de Morsiers niedergeschlagen worden. Das Geld hat man natürlich nicht gefunden.«
    Die beiden schwiegen eine Zeitlang. Dann fragte der Kommissar: »Und Sie, O'Key, Sie wollten mir doch etwas erzählen?«
    »Sie müssen noch zuwarten, Kommissar, die Sache ist noch nicht reif. Aber um den Professor brauchen Sie sich nicht zu sorgen, diese Angelegenheit werde ich erledigen. Wir werden heute abend Kriegsrat halten. Eine Bitte hätte ich, und die werden Sie mir nicht abschlagen, denn Sie wissen ja, daß ich im Einverständnis mit Martinet handle. Können Sie es bewerkstelligen, daß das Haus des Professors zwischen viertel nach sieben und halb acht nicht bewacht wird? Den Rest übernehme ich. Sie können dann morgen zur Verhaftung schreiten…«
    »… die resultatlos verlaufen wird, weil der Delinquent unauffindbar sein wird. Gut, gut. Aber schaffen Sie den Professor nicht zu weit fort, wir werden ihn brauchen.«
    »Ja, wir werden ihn brauchen«, sagte O'Key.
    Es wäre noch kurz von zwei Begegnungen zu berichten. Die erste betraf jene Mappe, von der Nydecker in krausen, nicht recht verständlichen Worten gesprochen hatte. Das Wort »Panorama« hatte er aber deutlich bestätigt. So erkundigte sich O'Key noch bei Kommissar Pillevuit, wie er am schnellsten in den Jardin Anglais kommen könne. Dieser beschrieb ihm den Weg, und unter einem sich langsam aufhellenden Himmel durchquerte der Journalist die Straßen der alten Stadt, die steil bergab führten, blieb einen Augenblick vor dem Kiosk an der Place du Molard stehen, stieg sogar in die Toilette hinunter, jedoch ohne etwas zu finden. Er lachte sich hernach aus. Dumme Sentimentalität.
    Der Jardin Anglais war leer. Der Regen hatte die Kinder und ihre Hüterinnen vertrieben, auch rund um den niedrigen Ziegelbau, der das Panorama enthielt, war kein Mensch zu sehen. Die Büsche, die es umgaben, waren dicht belaubt, verblühte Fliederdolden hingen braun und unansehnlich zwischen dem tiefgrünen Blätterwerk. ›Wo soll ich suchen?‹ dachte O'Key, ›jetzt am hellichten Tage? In jeder Minute kann ein Vorübergehender dazukommen und mich fragen, was ich da unter den Büschen zu suchen habe.‹
    Da hörte er links von dem kleinen Hause, dort, wo die Büsche so dicht standen, daß sie ein bequemes Versteck bildeten, ein Rascheln. Es klang, wie wenn ein Hund nach einer verschloffenen Maus sucht. O'Key trat näher, es rauschte stärker im Gebüsch, Geräusch von fliehenden menschlichen Tritten, O'Key durchbrach die grüne Wand. Ein weißer Weg blendete ihn. Und auf diesem Weg eilte eine kleine magere Gestalt davon, unter dem Arm trug sie eine schwarze Mappe.
    Im Laufen nahm O'Key das Bild des Fliehenden ziemlich genau wahr: ein offenbar ganz junger Bursche, in einen braunen Sportsanzug gekleidet, Golfhosen, aus denen unwahrscheinlich dünne Waden zum Vorschein kamen. Der Fliehende wendete das Gesicht einmal kurz seinem Verfolger zu. O'Key erschrak und ärgerte sich gleich darauf über sein Erschrecken. Er hatte doch in seinem Leben mit allerlei Gesindel zu tun gehabt. Aber dieses Gesicht! Es war klar, daß es einem jungen Menschen gehörte, aber es wirkte uralt, faltig, blutleer. Er mußte an die Beschreibung Charles, des Kammerdieners und Obersten, denken, als er den Sohn der Witwe Pochon geschildert hatte. »Der Kerl ist unheimlich«, hatte Charles gesagt, »sieht aus, wie seine Mutter, wenn diese eine Entfettungskur durchgemacht hätte. Die Haut ist ihm zu weit, überall Falten und Runzeln, und doch ist er jung…« Das stimmt alles, dachte O'Key und war dem Fliehenden dicht auf den Fersen. Die beiden waren auf dem Trottoir des Quais angelangt, fünf Schritte nur trennten O'Key von dem Burschen, da machte dieser einen Satz zur Seite und hinein

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