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Der Tee der drei alten Damen

Der Tee der drei alten Damen

Titel: Der Tee der drei alten Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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lange in den Tropen waren. Es wirkte hölzern, mit starren, kantigen Linien. War es ein Wunder, daß O'Key an des kleinen verrückten Nydeckers Ausspruch denken mußte: ›Der alte Mann mit dem Holzgesicht, ganz braun ist das Holzgesicht, ganz braun und glatt.‹
    »Vielleicht ist der Herr der Fliegen auch der Meister der goldenen Himmel«, sagte O'Key so laut, daß der Colonel ihn erstaunt ansah. »Ich glaube, jetzt schnappst du über, Simp«, sagte er ärgerlich.
    »Wissen Sie, Colonel, was man mir heute eingebläut hat? Nur Dummköpfe erraten . Ich will es mir merken. Sehen Sie, dort verschwindet unser Freund in einem Haus, wollen wir ihm nachgehen?«
    Ein dunkler Durchgang ging in einen viereckigen Hof. Holztreppen, die an den Mauern angeklebt waren, stiegen in die oberen Stockwerke. In jedem Stockwerk führte eine Holzgalerie rund um das Viereck.
    »Gehen wir wieder, Colonel«, sagte O'Key, nachdem er kurze Zeit zum Himmel geblickt hatte. Im zweiten Stock hatte eine Ziehklingel gescheppert, dann war eine Türe aufgegangen, war wieder ins Schloß gefallen. Hierauf herrschte Schweigen. »Gehen wir, Colonel«, wiederholte O'Key. »Ich glaube, es wird langsam klarer.«
    Jakob Rosenstock, der junge Gymnasiast, der Bruder des Advokaten Roséne, hatte seine erste Liebe nur kurz sprechen können. Fräulein Agnés Sorel, die Dichterin, war heute besonders aufgeregt und klebrig gewesen. Ja, es schien dem jungen Jakob, als sei die alte Dame übertrieben ängstlich und fürchte sich vor dem Alleinsein. Manchmal hob sie den Kopf, aus welchem die Nase sich über den bläulichen Mund bog, wie ein Papageienschnabel, der nach einer Kirsche schnappt, und lauschte angestrengt. Aber die großen leeren Zimmer, die hinter dem Eßzimmer lagen, blieben stumm, auch die Flurglocke verhielt sich still. Es war augenscheinlich kein Grund zu Unruhe vorhanden.
    Endlich, man war beim Dessert angekommen, und Jakob saß auf Kohlen, denn er hatte Natascha Gewichtiges mitzuteilen, schellte es. Fräulein Sorel stand auf, watschelte zur Tür, ihr häßliches Gesicht, das wieder schön wirkte, wie das einer rassenreinen Bulldogge, wurde von einem merkwürdigen Schein verklärt. Die beiden am Tisch Zurückgebliebenen hörten entzückte Begrüßungsworte (»… wie scharmant von Ihnen, meine liebe, liebe Dame, ich freue mich ja so unglaublich, Sie wiederzusehen, bitte, legen Sie ab, hoffentlich haben Sie sich nicht erkältet«), dann Rascheln von Seidengewändern, die Tür des nebenanliegenden Salons (diejenige nämlich, die nach dem dunkeln Flur führte), wurde geöffnet, dann wieder geschlossen, und dann hörte man das helle Summen zweier Stimmen, ohne daß jedoch die Worte erkennbar geworden wären.
    »Ich habe meinem Bruder einiges erzählt, besonders das, was den Professor betrifft, aber ohne dich zu nennen. Er hat auch weiter nicht gefragt, von wem ich die Neuigkeiten hätte«, flüsterte Jakob aufgeregt. »Du mußt entschuldigen, wenn ich das gemacht habe, aber ich bin noch jung. Es hat mich so erschüttert, was du mir erzählt hast.«
    »Dummer, kleiner Junge«, sagte Natascha, die Agentin 83, »Ich habe dir ja selbst geraten, deinen Bruder ins Vertrauen zu ziehen. Es ist ja ganz richtig. Was hat er gesagt?«
    »Er war ganz einverstanden, dem Professor zu helfen, und hat mich beauftragt, dem Professor heute, nach seiner Vorlesung aufzulauern und ihn zu uns einzuladen. Für heute abend um halb neun. Willst du nicht auch kommen, Natascha? Du könntest das alles viel besser erklären als ich.«
    »Ja, wird mich dein Bruder empfangen, mich, die kommunistische Agentin? Oder mich hinauswerfen?«
    »Ach«, sagte Jakob, »Isaak ist nicht so. Ich werde ihm sagen, ich würde auch jemanden mitbringen, der von Nutzen sein könnte, und dann wird er gar nichts dagegen haben. Ich werde viertel vor neun hier vor dem Hause warten, in einem Taxi, und dann fahren wir zusammen hinaus. Willst du? Geld hab ich.«
    »Ja, kleiner Junge«, sagte Natascha zärtlich und streckte Jakob die Hand über den Tisch entgegen. Der ergriff sie und legte seine Stirn in die offene Handfläche. Es war so still im Zimmer, daß man deutlich Fräulein Sorels Stimme vernahm, die im Nebenzimmer kreischend anstieg.
    »Was hat unsere gastfreundliche Wirtin?« fragte Natascha leise. »Wenn sie weiter schreit, wird sie so heiser werden, daß sie am nächsten Sonntag ihr neuestes Drama in klassischen Alexandrinern vor der literarischen Gesellschaft nicht wird vorlesen können.«
    Natascha

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