Der Tee der drei alten Damen
nicht schön war, aber das ihm gefiel. Seine Hand hob sich (er selbst wußte nichts davon), legte sich auf die kurzen Haare, die sich weich anfühlten, trotzdem sie wirr um den kleinen Kopf standen. Und er glättete sachte die Haare. Madge schlief weiter. Aber sie fühlte doch die Anwesenheit eines freundlich Gesinnten, denn ihre Lippen, die weinerlich verzogen waren, entspannten sich, öffneten sich ein wenig. Die Zähne zeigten sich breit, sehr weiß; Madge lächelte im Schlaf. Dann begann der Mund sich zu bewegen, er schien ein Wort bilden zu wollen. O'Key beugte sich vor und hörte deutlich: »Simp, dear Simp.«
Herzklopfen braucht nicht immer eine bedrückende, krankhafte Äußerung unserer Physis zu sein. Wenigstens stellte O'Key dies jetzt mit Erstaunen fest. Es war ihm selten passiert, an Herzklopfen zu leiden. Aber nun trommelte es dröhnend in seiner Brust, er fürchtete, es könne so laut tönen, daß die Schläferin von dem Geräusch erwachen würde. Darum beugte er sich vor und küßte Madge auf die Schläfe. Die Haut war weich, ein paar kurze Härchen kitzelten ihn an der Nase, er fuhr zurück, weil er spürte, daß sich ein Niesen meldete. Und obwohl er das Niesen unterdrückte, so gut er konnte, entstand doch ein so heftiger Knall, daß Madge die Augen aufschlug und sich erstaunt umsah. Es war kein Schrecken in ihrem Gesicht, und das, fand O'Key, war allerhand, nach allem, was sie wohl durchgemacht hatte. ›Sie hat meine Anwesenheit gespürt!‹ dachte er stolz. (Es ist merkwürdig, daß wir gerade auf solche unscheinbare Dinge stolz sind, zum Beispiel, daß Leute, die wir gerne haben, unsere Anwesenheit merken.)
»Ich hab gewußt, daß du kommen wirst, Simp«, sagte Madge leise. »Du bist zum Fenster hereingekrochen?« Sie lachte zufrieden, und O'Key war glücklich über das Lachen. »Setz dich daher, Simp«, sie klopfte mit der Hand auf den Bettrand. »So. Ich rutsche gegen die Wand. Hier hast du ein Kissen, da kannst du deinen Kopf dranlehnen. Und das kleine Kissen da leg ich auf deine Knie. Und du hältst mich fest und dann schlaf ich weiter.«
O'Key brachte seine langen Beine auf dem Bett unter. Er nahm einen Zipfel der Decke, um ihn über seine Füße zu breiten (es kam ein frischer Wind vom Fenster).
»Wie spät ist es, Simp?« fragte Madge, verschlafen, wie ein Kind. »Halb vier? Heut schlaf ich aus. Ich geh nicht zum Rapport. Ist Ronny da?« Ronny meldete sich, auch er durfte auf dem Bett Platz nehmen; er rollte sich zusammen, grunzte, schlief ein. Madge seufzte tief auf. Sie nahm O'Keys eine Hand, legte sie sich unter die Wange, die andere Hand legte sich von selbst auf Madges Kopf. »Gott, bin ich müde«, gähnte sie und streckte die Arme. Da fielen die Ärmel ihres Pyjamas zurück. In der linken Ellbogenbeuge war ein großer roter Fleck, der aussah wie eine beginnende Entzündung. Madge schien O'Keys Blick zu fühlen. Sie lächelte.
»Das hab ich schwer verdient«, sagte sie leise, »und das ist mein Orden. Ich bin sehr stolz darauf.«
»Aber«, sagte O'Key vorwurfsvoll, »warum hast du mir nichts gesagt, ich hätte dich begleiten können, du wärst doch nicht ohne Schutz gewesen.«
»Ach«, sagte Madge, »du warst so oft in Gefahr, du hast so viel erlebt. Ich hab dir nur zeigen wollen, daß auch ich tapfer bin.«
»Gute, kleine Frau«, sagte O'Key mit etwas heiserer Stimme.
»Sag, Simp, bist du auch oft auf den Bäumen gesessen, wie du klein warst? Weißt du, ich hab damals einen kleinen Freund gehabt, der sah aus wie du. Und den hab ich so gern gehabt wie…«
»Ja«, sagte O'Key schnell, er haßte Liebeserklärungen, »ja, ich bin immer auf die Bäume geklettert und dann dort hocken geblieben. Mein Onkel hat immer behauptet, ich sei ein Affe.«
»Vielleicht bist du einer«, sagte Madge müde. »Aber jetzt will ich schlafen. Weißt du«, und ein kleines Zittern war in ihrer Stimme, »weißt du, daß der arme Thévenoz wahrscheinlich tot ist?«
»Ich hab ihn sterben sehen…« sagte O'Key. »Der Professor war auch dabei.«
»Der arme Thévenoz, er war auch ein tapferer Kerl«, zwischen den geschlossenen Lidern sickerten Wassertropfen hervor. Madge suchte unter den Kissen verzweifelt nach ihrem Taschentuch, dann schneuzte sie sich geräuschvoll. Sie lag dann eine Weile ruhig, plötzlich sagte sie mit leiser Stimme:
»Du, Simp, ist das Meer schön? Ich mein' das Mittelmeer?«
»Ja, das ist schön. Besonders in der Nacht, wenn man mit den Fischern hinausfährt.«
»Nimmst
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