Der Tempel der Ewigkeit
Nebou?»
«Meine Knochen schmerzen mich, Majestät, mein Augenlicht läßt nach, meine Ohren werden allmählich taub, und ich brauche immer mehr Schlaf. Ich fühle das Ende nahen.»
«Ist einhundertzehn Jahre nicht das Alter, das die Weisen erreichen?»
«Ich bin nur ein Greis, dessen Zeit abläuft. Weshalb sollte ich dem Tod zürnen, wenn er das Glück, das mir zuteil geworden ist, auf einen anderen überträgt?»
«Dein Sehvermögen erscheint mir noch unübertrefflich. Was wäre wohl passiert, wenn du deinen Stab und deinen Ring nicht dem Ritualpriester übergeben hättest?»
«Was geschehen ist, ist geschehen, Majestät. Die Regel der Maat hat uns beschützt.»
Ramses ließ seine Blicke über die ausgedehnte Fläche schweifen, auf der sein Tempel erstehen würde.
«Ich sehe ein erhabenes Bauwerk vor mir, Nebou, ein Heiligtum aus Granit, Sandstein und Basalt. Seine Pylonen werden sich bis in den Himmel erheben, seine Tore in vergoldeter Bronze erglänzen und Bäume den Wasserbecken Schatten spenden. Die Speicher werden mit Weizen gefüllt sein und das Schatzhaus mit Gold, Silber, kostbaren Steinen und erlesenen Gefäßen. Statuen werden den Höfen und Kapellen Leben verleihen. Eine Umfassungsmauer wird all diese Wunderwerke nach außen abschirmen. Im Morgengrauen und bei Sonnenuntergang werden wir gemeinsam auf das Dach hinaufsteigen und der in den Stein gemeißelten Ewigkeit huldigen. Drei Wesen werden für immer in diesem Tempel wohnen: mein Vater Sethos, meine Mutter Tuja und meine Gemahlin Nefertari.»
«Du vergißt den vierten, der zugleich der erste ist: dich selbst, Ramses.»
Mit einem Akazienzweig in der Hand kam die große königliche Gemahlin auf ihn zu.
Ramses kniete nieder und pflanzte ihn in die Erde. Nefertari begoß ihn vorsichtig.
«Wache über dieses Bäumchen, Nebou. Es wird mit meinem Tempel wachsen. Mögen die Götter mir gewähren, daß ich eines Tages in seinem Schatten zu ruhen vermag, um Welt und Menschen zu vergessen und die Göttin des Westens zu schauen, die sich in seinem Laub und seinem Stamm offenbart, ehe sie mir die Hand reicht.»
NEUNUNDVIERZIG
MOSES LAG AUF seinem Bett aus Sykomorenholz. Der Tag war anstrengend gewesen. Es hatten sich an die fünfzig kleinere Zwischenfälle ereignet, und zwei Handwerker auf der Baustätte des Palastes waren leicht verletzt, dann traf die Lieferung der Nahrungsmittel für die beim Bau der dritten Kaserne eingesetzten Arbeiter verspätet ein, und etwa tausend schadhafte Ziegel mußten wieder vernichtet werden. Daran war nichts Ungewöhnliches, dennoch höhlten die sich häufenden Sorgen nach und nach seine Widerstandskraft aus.
Von neuem stürmten quälende Fragen auf ihn ein. Es machte ihm zwar Freude, diese Hauptstadt zu bauen, aber beleidigte er nicht den alleinigen Gott, wenn er Tempel zu Ehren verschiedener Gottheiten errichtete, zu denen sogar der unheil bringende Seth gehörte? Als Oberaufseher über die Baustätten von Pi-Ramses trug er dazu bei, den Ruhm eines Pharaos zu festigen, der weiterhin den alten Kulten frönte.
Da bewegte sich jemand dicht neben dem Fenster in einer Ecke des Raumes.
«Wer ist da?»
«Ein Freund.»
Ein hagerer Mann mit einem Raubvogelgesicht trat aus dem Schatten und näherte sich dem flackernden Schein einer Öllampe.
«Ofir!»
«Ich möchte mit dir reden.»
Moses setzte sich auf seinem Bett auf.
«Ich bin müde und würde gerne schlafen. Wir sprechen uns morgen, auf der Baustätte, falls ich dazu Zeit habe.»
«Ich bin in Gefahr, mein Freund.»
«Weshalb?»
«Das weißt du doch! Weil ich an einen einzigen Gott, den Retter der Menschheit, glaube. An den Gott, dem dein Volk insgeheim huldigt und der schon morgen die Welt beherrschen wird, nachdem er ihre Götzen zerstört hat. Sein Eroberungszug muß in Ägypten beginnen.»
«Vergißt du, daß Ramses der Pharao ist?»
«Ramses ist ein Tyrann. Er spottet des Himmlischen und denkt nur an seine eigene Macht.»
«Du tätest gut daran, sie zu achten. Ramses ist mein Freund, und ich baue seine Hauptstadt.»
«Ich kann deine hehren Gefühle und deine Freundschaft für ihn durchaus würdigen. Doch du bist ein innerlich zerrissener Mensch, Moses, und du weißt es. In deinem Herzen lehnst auch du diese Herrschaft ab, und du hoffst auf den wahren Gott.»
«Das sind nichts als leere Worte, Ofir.»
Der Blick des Libyers wurde eindringlich.
«Sei ehrlich, Moses, gib es auf zu lügen.»
«Kennst du mich etwa besser als ich
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