Der Tempel der vier Winde - 8
»Wenn Ihr jemals etwas von mir wollt, braucht Ihr es nur zu sagen. Glaubt mir, Ihr seid wahrlich eine Schwester des Strafers.«
37. Kapitel
Endlich gelang es Kahlan, Nancy und ihre Helferin fortzuschicken, indem sie ihnen erklärte, sie sei erschöpft und wolle nichts weiter als zu Bett gehen. Das Angebot, ein Bad zu nehmen, sich das Haar bürsten, sich massieren oder sich etwas zu essen bringen zu lassen, schlug sie ab, mit ihrem Kleid ließ sie sich jedoch von Nancy helfen, um bei der Frau keinen Verdacht zu erregen.
Endlich alleine, rieb sich Kahlan in der Kühle die nackten Arme. Sie betastete ihre Wunde unter dem Verband. Die war gut verheilt und schmerzte kaum noch. Dazu hatte Drefan seinen Teil beigetragen, und wahrscheinlich hatten auch Nadines Umschläge etwas genutzt.
Kahlan streifte einen Morgenrock über und ging zu dem Schreibtisch neben einem der Kamine. Dort war es angenehm warm, aber nur von einer Seite. Einer Schublade entnahm sie Papier und Feder. Während sie den silbernen Deckel des Tintenfasses abnahm, versuchte sie ihre Gedanken und das, was sie schreiben würde, zu ordnen.
Richard, mein Liebster,
ich habe etwas Wichtiges zu erledigen, und ich muß es alleine tun. Es ist mir ernst damit. Nicht nur aus Achtung vor Dir, sondern auch, weil Du der Sucher bist, begrüße ich, was Du tust, obwohl ich es mir gelegentlich anders gewünscht hätte. Ich bin mir darüber im klaren, daß ich Dir manchmal erlauben muß, das zu tun, was Du tun mußt. Ich bin die Mutter Konfessor, deshalb solltest Du verstehen, daß auch ich manchmal tun muß, was ich tun muß. Dies ist so ein Fall. Ich flehe Dich an, wenn Du mich liebst, dann respektiere meine Wünsche, misch Dich nicht ein, und laß mich tun, was ich zu tun habe.
Cara habe ich getäuscht, was ich sehr bedauere. Sie weiß nicht, was ich vorhabe und daß ich fortgehe. Ich würde äußerst ungehalten sein, solltest Du sie dafür zur Rechenschaft ziehen.
Wann ich zurückkehre, weiß ich nicht. Vermutlich werde ich ein paar Tage abwesend sein. Ich tue dies, um unsere Situation zu verbessern. Hab bitte Verständnis, und sei nicht zu böse auf mich – mir bleibt keine andere Wahl. Unterzeichnet, die Mutter Konfessor, Deine Königin, auf ewig Deine Liebe in dieser Welt und der danach – Kahlan.
Kahlan faltete den Brief zusammen und schrieb Richards Namen darauf. Dann öffnete sie ihn und las ihn noch einmal durch, um sich zu vergewissern, daß sie nichts verraten hatte, was er nicht erfahren sollte. Die Formulierung ›um unsere Situation zu verbessern‹ gefiel ihr. Das war so vage und konnte alles mögliche bedeuten. Sie hoffte, nicht zu schroff darauf bestanden zu haben, er dürfe sich nicht einmischen.
Schließlich zog sie eine Kerze heran und erhitzte das Ende eines Siegelwachsstiftes, den sie der Schublade entnommen hatte. Sie beobachtete, wie das Wachs auf den Brief tröpfelte und eine rote Pfütze bildete, dann drückte sie das Siegel der Mutter Konfessor – den Doppelblitz – in das warme Wachs. Sie küßte den Brief, blies die Kerze aus und lehnte den Brief dagegen, so daß man ihn unmöglich übersehen konnte.
Früher war ihr nie recht klar gewesen, warum das Siegel der Mutter Konfessor ein Doppelblitz war, jetzt aber wußte sie es. Er stand für das Symbol des Con Dar – des Blutrausches –, eines Bestandteils der Magie eines Konfessors aus grauer Vorzeit. Einer Magie, die so selten heraufbeschworen wurde, daß sie ihr völlig unbekannt gewesen war. Kahlans Mutter war gestorben, bevor sie ihr hatte beibringen können, wie man den Con Dar im Notfall einsetzte.
Gleich nachdem sie Richard begegnet war und sich in ihn verliebt hatte, hatte sie den Con Dar instinktiv heraufbeschworen. Unter dem Einfluß dieser Magie hatte sie sich zur Warnung, sich ihr nicht in den Weg zu stellen, einen Blitz auf jede Wange gemalt. Mit einem Konfessor im Blutrausch war eine vernünftige Auseinandersetzung nicht möglich.
Der Blutrausch war die subtraktive Seite der Magie eines Konfessors, die zur Rache heraufbeschworen wurde. Kahlan hatte darauf zurückgegriffen, als sie der Überzeugung war, Darken Rahl habe Richard umgebracht. Er konnte nur zugunsten eines anderen Menschen entfesselt und ausschließlich dazu eingesetzt werden, diesen Menschen zu beschützen. Sich selber konnte sie damit nicht verteidigen.
Wie ihre Konfessorenkraft, die sie stets tief in ihrem Innern gespürt hatte, war inzwischen auch der Con Dar gleich unterhalb der Oberfläche
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