Der Tempel der vier Winde - 8
verkauft werden – zu einem höheren Preis. Ganz gleich, wie unhaltbar die Versprechungen dieser Heilmittel waren, an ihrer angeblichen Wirksamkeit wurde nicht gezweifelt.
Das Erste Gesetz der Magie: Die Menschen glaubten jede Lüge, entweder, weil sie glauben wollten, daß sie wahr sei, oder weil sie befürchteten, sie könnte es sein. Diese Menschen waren verzweifelt, und ihre Verzweiflung würde noch wachsen. Viele wollten mit aller Gewalt an irgend etwas glauben.
Kahlan versuchte sich vorzustellen, was sie tun würde, wenn Richard die Pest befiele. Würde sie in ihrer Verzweiflung Hoffnung auf derartige Roßtäuscherei setzen und gegen alle Vernunft darauf hoffen, dergleichen könnte ihn retten? Manchmal blieb den Menschen nichts weiter als die Hoffnung. So unbegründet sie auch war, Kahlan durfte sie ihnen nicht nehmen. Hoffnung war alles, was sie hatten, alles, woran sie sich noch festhalten konnten.
Es war an Kahlan und Richard, diesen Menschen zu helfen. Als sie auf der Suche nach Richard durch den vertrauten Prunk des Palastes der Konfessoren lief, blieb Kahlan an der offenstehenden Doppeltür eines großen Saales stehen, der für offizielle Empfänge benutzt wurde. Der Saal war in einem beruhigenden Blau gestrichen, dunkelblaue Gardinen hingen von den hohen, schmalen Fenstern. Der Fußboden aus Granit wies ein Sonnenaufgangsmuster aus dunklerem und hellerem Stein auf, das sich strahlenförmig von der Mitte ausbreitete. Lampen auf Tischen aus Kirschholz an den Längsseiten des Raumes tauchten diesen in ein weiches Licht. Auf den Beistelltischen, auf denen manchmal kleine Speisen für die Gäste angerichtet wurden, stand jetzt eine stattliche Anzahl von Kerzen.
Drefans Stimme hatte Kahlans Aufmerksamkeit erregt. Rechts, vor dem Tisch mit den Kerzen, sprach er zu vielleicht fünfzig oder sechzig Personen. Diese hockten mit übereinandergeschlagenen Beinen vor ihm auf dem Fußboden und lauschten gespannt seinen Ausführungen darüber, wie man die Gesundheit stärkte und dem Körper dadurch seine Kraft bewahrte, daß man in Verbindung mit dem inneren Selbst blieb.
Die meisten nickten gedankenversunken, während Drefan sich über Menschen ausließ, die der Krankheit Tür und Tor öffneten, indem sie ihren Körper mit ungesunden Gedanken und Taten verunreinigten. Er erklärte ihnen, der Schöpfer habe sie mit der Fähigkeit ausgestattet, sich vor Krankheiten wie der Pest zu schützen, vorausgesetzt, sie verhielten sich nur wie von der Natur vorgesehen und verzehrten die richtige Nahrung, und zwar eine solche, die die ihren Körper kräftigenden Auren stärkte; des weiteren sollte man die Methode der inneren Einkehr benutzen, um die Wirkung der unterschiedlichen Energiefelder im Einklang mit dem Ganzen auf ihre eigentliche Aufgabe zu lenken.
Vieles von dem, was er sagte, ergab Sinn: das Meiden jeglichen Essens, von dem man wußte, daß man davon Kopfschmerzen bekam, weil es die Fähigkeit des Geistes, den Körper zu regulieren, störte; das Meiden schwerer Speisen kurz vor dem Schlafengehen, weil dadurch dem Körper jene Ruhe vorenthalten wurde, die er benötigte, um sich zu erholen; die Dinge, die die Auren zerstörten, welche uns Kraft gaben und unsere Gesundheit förderten.
Die Menschen staunten ganz offen, wie Drefan es schaffte, ihnen das alles so leicht verständlich zu erklären. Sie redeten, als seien sie blind gewesen, und nun habe ihnen jemand zum ersten Mal die Augen geöffnet. Verblüfft verfolgten sie, wie er ihnen des weiteren erklärte, wir besäßen in uns die Kraft, den Körper zu beherrschen, und Krankheiten könnten uns nur deshalb quälen, weil wir es zuließen. Er sprach von Kräutern, die den Körper von Giften reinigten und die den Menschen vielleicht zum allerersten Mal seit seiner Geburt wirklich gesund machten.
Diese Menschen lauschten nicht dem Bruder von Lord Rahl, sie lauschten Drefan Rahl, dem Hohenpriester der Raug’Moss.
Wie ein Mann befolgten sie die Anweisungen des Hohenpriesters, als dieser von ihnen verlangte, die Augen zu schließen und den Odem des Lebens und die Dämpfe der Gesundheit unter Einsatz der Bauchmuskeln durch die Nase zu atmen, bis tief hinein in ihren innersten Kern. Er erläuterte, wie man die Luft bis ganz tief unten an die Quelle der Kraft der einzigartigen Aura jedes einzelnen führte, wie man die Gifte aus den entlegensten, dunkelsten Winkeln ihres Seins hervorholte und sie durch den Mund nach außen stieß, wo sie gegen einen kräftigenden Atemzug
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