Der Tempel der vier Winde - 8
Clarissa sie je gehört hatte. »Fordert mich nicht noch einmal heraus.«
Schwester Willamina bedachte Pierce mit einem finsteren Blick und erteilte ihm mit leiser Stimme einen deftigen Tadel, während er sich mühsam wieder auf die Beine erhob.
Nathan breitete einladend seine Arme aus. »Möchten die Damen nicht eintreten? Bringt Eure Knaben doch mit.«
Clarissa fand eigentlich nicht, daß sie, wie Nathan sie nannte, Knaben ähnelten. Sie mochten wenigstens Ende zwanzig sein. Die vier traten vorsichtig ein und blieben, die Hände vor dem Körper verschränkt, in einer Gruppe stehen, während Nathan die Tür wieder schloß.
»Ziemlich riskant, Na … Lord Rahl, uns vier so nah heranzulassen«, meinte Schwester Jodelle. »Für so unvorsichtig hätte ich Euch nicht gehalten, jetzt, da Ihr eine leicht gestörte Schwester überredet habt, sich Eurer zu erbarmen und Euch den Rada’Han abzunehmen.«
Nathan schlug sich auf den Schenkel und lachte heulend. Von den anderen vier verzog keiner auch nur eine Miene.
»Riskant?« wiederholte er, nachdem er sich wieder beruhigt hatte. »Wieso denn das? Was habe ich von Euresgleichen denn zu befürchten? Außerdem, müßt Ihr wissen, habe ich mir den Rada’Han selbst abgenommen. Gerechterweise muß ich Euch erzählen, daß ich, während Ihr törichterweise beschlossen hattet, in mir den verrückten Alten zu sehen, Dingen nachgegangen bin, von denen Ihr nicht einmal eine Ahnung habt. Während Ihr Schwestern allesamt –«
»Kommt zur Sache«, knurrte Schwester Jodelle.
Nathan hob den Zeigefinger. »Die Sache ist folgende, meine Lieben. Ich habe zwar weder etwas gegen Euch noch gegen Euren Führer, aber ich kann Netze spinnen, die Ihr nicht begreifen würdet und gegen die Ihr Euch erst recht nicht schützen könntet, solltet Ihr mir ans Leder wollen. Ich bin zum Beispiel sicher, Ihr könnt die einfachen Schilde, die ich da und dort errichtet habe, spüren, nur gibt es hinter den Dingen, die Ihr spürt, weitere. Solltet Ihr –«
Schwester Jodelle verlor die Geduld und schnitt ihm abermals das Wort ab. »Wir sind nicht hergekommen, um uns das Geschwätz eines alten Tattergreises anzuhören. Haltet Ihr uns für dämlich? Die armselige Magie, die Ihr um diesen Ort gewoben habt, haben wir längst entdeckt, und ich versichere Euch, es ist kein einziger Bann dabei, den jede von uns nicht mit Leichtigkeit in seine Einzelteile zerlegen könnte, während sie sich dabei noch einen Teller Suppe schmecken läßt!«
Vincent schob die Schwestern zur Seite. »Ich habe diesem ausgedörrten alten Esel jetzt lange genug zugehört. Eingebildet war er ja schon immer. Langsam wird es Zeit, daß er begreift, mit wem er es zu tun hat!«
Als Vincent seine Hände hob, machte Nathan keinerlei Anstalten, sich zu verteidigen. Clarissa riß erschrocken die Augen auf, während der junge Mann die Finger krümmte und sein Gesicht sich haßerfüllt verzog. Sie schlug entsetzt die Hand vor den Mund, als aus Vincents Händen Licht in Richtung Nathan zuckte.
Ein kurzes Heulen zerriß die angespannte Stille. Das Licht des jungen Mannes zersplitterte. Man hörte einen dumpfen Schlag, den Clarissa durch den Fußboden spürte, und im Nachbarzimmer flammte ein Licht auf.
Heulen und Licht ließen nach – und Vincent war verschwunden. Auf dem Fußboden sah Clarissa dort, wo er gestanden hatte, ein kleines Häufchen weißer Asche.
Nathan ging zur Wand und holte einen Besen, der dort gleich hinter einem Vorhang lehnte. Er öffnete die Tür und fegte die Asche hinaus auf den Flur.
»Danke für deinen Besuch, Vincent. Schade, daß du schon gehen mußt. Erlaube, daß ich dich hinausbegleite.«
Mit elegantem Schwung fegte Nathan, eine kleine Wolke aufwirbelnd, den letzten Ascherest auf den Flur. Er schloß die Tür und wandte sich wieder den dreien zu, die ihn mit offenem Mund anstarrten.
»Also, wie ich gerade sagte, begeht Ihr den letzten Fehler Eures Lebens, wenn Ihr mich oder meine Fähigkeiten unterschätzt. Mit Eurem armseligen Verstand könnte ich Euch mit der Nase darauf stoßen, und Ihr würdet es trotzdem nicht begreifen.« Nathan runzelte seine Stirn auf eine Art, die selbst Clarissa Angst einjagte. »Und jetzt erweist mir den gebührenden Respekt und verbeugt Euch vor Lord Rahl.«
Die drei verneigten sich widerstrebend und beugten ein Knie auf den Boden.
»Was wollt Ihr also?« fragte Schwester Jodelle, nachdem sie sich wieder erhoben hatte. Ihre Stimme hatte einiges an Schärfe verloren.
»Ihr
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