Der Tempel der vier Winde - 8
Ich werde hier warten. Wann wirst du zurückkommen?«
Er blickte ihr eine ganze Weile unverwandt in die Augen, während das Unwetter sie umtoste.
»Hier ist kein Platz mehr für mich.«
Kahlan klammerte sich an ihn. »Du mußt zurückkommen, Richard. Ich werde hier sein und auf dich warten. Ich liebe dich. Du mußt zu mir zurückkommen, Richard!«
»Du hast einen Ehemann. Du hast ihm dein Jawort gegeben … und auch sonst alles.«
»Laß mich nicht alleine, Richard«, wimmerte Kahlan. »Wenn du nicht zurückkommst, werde ich dir das nie vergessen.«
Richard drehte sich zum Rand des Abgrunds um.
»Du hast eine Frau, Richard! Du mußt zurückkommen!«
Ein Donnerschlag ließ den Berg erzittern.
Er sah über seine Schulter nach hinten. »Nadine ist tot. Ich bin durch mein Gelübde nicht mehr an sie gebunden. Du dagegen hast einen Gemahl. Hier ist kein Platz mehr für mich.«
Brutale Bänder aus Licht schlugen jenseits des Abgrunds in die Straße ein und ließen den Tempel der Winde in seiner vollen Größe sichtbar werden.
Das goldene Cape hinter sich gebläht, sprang Richard in den Blitz hinein.
»Richard! Ich bin hier. Ich bin für dich da! Wir werden einen Weg finden! Bitte komm zu mir zurück«
Als das wütende Blitzen abrupt endete, war der Tempel verschwunden. Wieder entlud sich die Spannung, und die hoch aufragenden Türme tauchten erneut für eine Sekunde auf, schwächer diesmal, dann waren sie abermals verschwunden.
Kahlan sank zu Boden, Richards schwarzes Hemd an ihren Leib gepreßt. Sie hatte ihn zerstört.
Aus den Augenwinkeln bemerkte Kahlan etwas Rotes. Es war Cara, die auf den Abgrund zurannte. Sie sprang genau im selben Augenblick ab, als wieder ein Blitz zuckte und den Tempel der Winde in der Welt des Lebendigen beleuchtete. Sie landete auf der durch die Luft führenden Straße, und als der Blitz erlosch, waren der Tempel der Winde, Richard, Cara nicht mehr zu sehen.
Am Boden zerstört, starrte Kahlan stumm in das tosende Unwetter und erblickte den hoch aufragenden Tempel der Winde von Zeit zu Zeit in einer anderen Welt. Kein einziges Mal wirkte er massiv genug, sonst wäre sie hinübergesprungen. Sie hätte es tun sollen. Sie begriff nicht, warum sie es nicht getan hatte. Warum war sie einfach stehengeblieben?
Weil Richard sie verschmähte. Er hatte gesagt, er werde sie ewig lieben. Er hatte gesagt, sie würden in der nächsten Welt Zusammensein. Er hatte ihr Versprechungen gemacht. Er hatte ihr seine ewige Liebe geschworen.
Genau wie sie – und jetzt hatte sie ihn verraten.
Von irgendwo draußen im Unwetter vernahm Kahlan fernes Gelächter. Das bösartige, selbstzufriedene Lachen ließ es ihr kalt über den Rücken laufen.
Drefan schlenderte heran und blieb bei ihr stehen. Er war allein.
»Wo ist Nadine?« fragte Kahlan.
Drefan räusperte sich. »Als die Blitze einsetzten und sie sah, daß ich es war und nicht Richard, hat sie angefangen zu schreien. Sie ist durchgedreht und hat sich über den Rand in den Abgrund gestürzt.«
Kahlan starrte ihn an. Richard wußte Bescheid. Er hatte ihr gesagt, Nadine sei tot. Richard war ein Zauberer. Das hatte sie auch in seinen Augen gesehen, ganz zum Schluß, kurz bevor er hinübergesprungen war. Sie hatte die Magie in seinen Augen gesehen.
»Wo ist Richard?«
Kahlan blickte hinaus in die Leere, in die schwarze Wand der Nacht. »Verschwunden.«
Auf der Straße zum Tempel der Winde, in dieser unheimlichen Stille, zog Richard sein Schwert. Die Fremdheit der Waffe überraschte ihn für einen Augenblick, dann fiel ihm ein, wessen Schwert es war.
Er war nicht mehr der Sucher der Wahrheit. Er hatte alle Wahrheiten erfahren, die er ertragen konnte.
Hier gab es weder Nacht noch Tag, und doch war es hell. Es war kein Sonnenlicht. Eher ähnelte es dem Licht an einem bedeckten Tag, an dem nichts darauf hindeutete, wo genau die Sonne stand. Nur gab es hier nirgends eine Sonne, das wußte er. Das hier war nicht die Welt des Lebendigen.
Es war ein Teil der Unterwelt – ein abgeschiedener, entlegener, finsterer Winkel in der Welt der Toten. Es war, als hätten die Zauberer ein weitab liegendes Loch gefunden, um den Tempel der Winde darin zu verbergen. Ähnlich versteckt hatte er schon in der Welt des Lebendigen gestanden.
Die dunklen Mauern des gewaltigen Tempels der Winde ragten vor ihm auf, seine Doppeltürme erhoben sich hinauf bis in die Nebelfetzen. Die gesamte Flanke des Berges Kymermosst befand sich hier – der komplette Teil, der in der
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