Der Tempel der vier Winde - 8
denke, dieses hier wird die Wahrheit ebensogut finden wie das andere.«
Richard schob sein Bein in die Hosen. Kahlan griff abermals nach seinem Arm.
»Verstehst du denn nicht, Richard? Du warst es. Du warst hier drinnen bei mir, nicht Drefan. Die Seelen sehen einen Unterschied – zwischen Absicht und Tat. Nicht er war es, sondern du, von Anfang an.«
Er riß seinen Arm los. Für die Seelen mochte es einen Unterschied geben, für ihn nicht. Für Richard war die Absicht dasselbe wie die Tat.
»Du verstehst nicht, Richard. Es ist nicht so, wie du denkst.«
Richard warf ihr einen Blick zu, daß sie wankend einen Schritt zurückwich. Er wartete, während sie wie erstarrt dastand, unfähig, irgendwelche erklärenden Worte vorzubringen. Schließlich zog er sich weiter an.
Kahlan streifte ihr weißes Konfessorenkleid über. Draußen kamen die Blitze immer näher. Bei einem der Einschläge ganz in der Nähe konnte sie erkennen, wie sich am Rand des Abgrunds ein gewaltiges Gebäude erhob: der Tempel der Winde. Mit dem Erlöschen des Lichtblitzes verschwand das Bauwerk wieder, und sie konnte die fernen Berge dahinter erkennen, die von weiter entfernten Blitzen erhellt wurden.
»Richard«, meinte sie weinend, während sie einen Stiefel überstreifte, »bitte sprich mit mir. Sag etwas. Sag mir, daß es dafür keine Erklärung geben kann. Schrei mich an. Nenn mich eine Hure. Sag mir, daß du mich haßt. Tu etwas! Aber mißachte mich nicht einfach!«
Er drehte sich um und hob sein schwarzes, ärmelloses Unterhemd vom Boden auf. Als er es sich über den Kopf zog, nahm sie sein schwarzes Hemd und umklammerte es vor der Brust, in der Hoffnung, damit zu verhindern, daß er sich anzog.
»Richard, bitte! Ich liebe dich!«
Er sah ihr in die Augen. Sie glaubte, er würde etwas sagen, statt dessen drehte er sich um und legte seinen Gürtel mit den Ledertaschen an. Er ließ seine Armbänder an den Handgelenken zuschnappen. Er hob Drefans Schwert auf und schnallte es um.
»Bitte sprich mit mir, Richard. Sag etwas. Das ist das Werk der Seelen. Weißt du nicht mehr, wie ich dir erzählt habe, was die Ahnenseele von Chandalens Großvater zu mir gesagt hat: Die Winde haben entschieden, daß du der Preis für den Pfad sein sollst. Sie sind es, die uns das angetan haben!«
Erneut durchbohrte er sie mit seinem Blick. Die Rage in seinen Augen erlosch. Er sah, daß sie sein Hemd nicht hergeben würde, also warf er sich das goldene Cape um die Schultern.
Als er sich zur Tür umdrehte, packte ihn Kahlan mit beiden Händen am Arm und zog ihn zu sich herum.
»Ich liebe dich, Richard. Bitte, so glaube mir doch. Ich werde dir das hier später erklären, aber jetzt mußt du mir erst einmal glauben. Ich liebe dich. Niemanden sonst. Mein Herz gehört alleine dir. Gütige Seelen, so glaub mir doch endlich.«
Richard packte ihr Kinn mit der Hand und wischte ihr mit dem Daumen über die Lippen. Er hielt den Daumen hoch, damit sie ihn im Höllenspektakel der Blitze sehen konnte.
»… denn die in Weiß, seine wahre Geliebte, wird ihn in ihrem Blut verraten.«
Seine Worte zerrissen ihr das Herz.
Als er zur Tür hinausstürzte, erstickte Kahlan ihren Aufschrei mit seinem Hemd. Sie hatte getan, was sie sich geschworen hatte, niemals zu tun – sie hatte ihn verraten. Der Verrat hätte schlimmer nicht sein können. Und er hatte ihm das Herz gebrochen.
Hysterisch schluchzend rannte Kahlan ihm hinterher, nach draußen in die tobende Nacht. Sie mußte etwas tun, um sein Herz zurückzugewinnen. Sie durfte nicht zulassen, daß er den Schmerz hinnahm, den sie ihm zugefügt hatte. Sie liebte ihn mehr als das Leben, und sie hatte ihm das Schlimmstmögliche angetan.
Draußen pfiff der Wind heulend über den Berg. Im aufblitzenden Licht konnte sie Richards schwarze Umrisse und seine nackten Arme erkennen, während er auf die Straße zuhielt.
Er erreichte den Rand des Abgrunds am Ende der Straße, da warf Kahlan sich auf ihn und riß ihn zurück, so daß er gezwungen war stehenzubleiben.
Der Himmel bot ein wüstes Bild heftigster Entladungen. Der Donner fuhr ihr in die Knochen. Blitze zuckten quer über die Wolken, gefolgt von ohrenbetäubendem Krachen. Wann immer die kräftigsten dieser Blitze einschlugen, war der Tempel der Winde jenseits des Abgrunds zu erkennen, doch nur für die Dauer dieser grimmigen Entladungen. Danach war dort wieder nichts als Leere.
»Was wirst du tun, Richard?«
»Ich werde die Pest aufhalten.«
»Wann wirst du zurück sein?
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