Der Tempel der vier Winde - 8
Arme. »Das nennt Ihr heilen? Meine Kräuter hätten besser gewirkt als dieser Unfug, und obendrein schneller.«
Er schaute hoch. »Unfug? Ihr haltet das für Unfug? Für irgendeinen Hokuspokus? Habt Ihr auch nur die geringste Ahnung, junge Frau, womit wir es hier zu tun haben?«
»Mit einem Krampfanfall. Dagegen muß man etwas tun, nicht beten.«
Er richtete sich auf. »Ich bin der Hohepriester der Raug’Moss. Es ist nicht meine Art, für meine Heilerfolge zu beten.« Nadine schnaubte spöttisch. Er nickte, als hätte er einen Entschluß gefaßt. »Ihr wollt sehen, womit wir es zu tun haben? Ihr wollt einen Beweis, den Ihr mit Eurem schlichten Kräuterfrauenblick begreifen könnt?«
Nadines Blick verfinsterte sich. »Angesichts fehlender Ergebnisse wäre ein kleiner Beweis nicht schlecht.«
Er deutete auf etwas. »Ich habe ein Horn mit Beifuß gesehen.
Gebt es mir. Vermutlich habt Ihr auch eine Wachskerze in Eurem Beutel. Zündet sie an.«
Während Nadine die Kerze zur Fackel trug, um sie dort anzuzünden, schlug Drefan sein Gewand auf und entnahm einem Beutel mehrere Gegenstände. Nadine reichte ihm die brennende Kerze. Er träufelte heißes Wachs neben sich auf den Fußboden und steckte die Kerze darin fest.
Der Hohepriester langte unter sein Gewand und holte ein langes Messer mit dünner Klinge hervor. Er beugte sich vor und preßte es zwischen Caras Brüste. Der rubinrote Tropfen unter der Messerspitze wurde immer größer. Er legte das Messer zur Seite und beugte sich über sie. Mit einem langstieligen Löffel schöpfte er das Blut von ihrer Haut.
Er lehnte sich zurück, entkorkte das Horn, das Nadine ihm gegeben hatte, und schüttelte ein wenig Beifuß auf das Blut im Löffel. »Das nennt Ihr Beifuß! Man darf nur die pelzige Unterseite der Blätter sammeln. Ihr habt das ganze Blatt daruntergemischt.«
»Das spielt keine Rolle. Es ist alles Beifuß.«
»Von sehr schlechter Qualität, wenn man es so macht. Ihr solltet wissen, daß man Beifuß von hoher Qualität benutzt. Was für eine Kräuterfrau seid Ihr eigentlich?«
Nadine kniff empört die Augen zusammen. »Er wirkt prächtig. Wollt Ihr Euch etwa herausreden, damit Ihr uns nicht beweisen müßt, Ihr wüßtet, was Ihr tut? Wollt Ihr Euer Versagen etwa auf die schlechte Qualität des Beifußes schieben?«
»Für meine Zwecke ist die Qualität mehr als ausreichend, für Eure hingegen nicht.« Sein Ton wurde belehrend und dabei geradezu höflich. »Reinigt das nächste Mal die Probe, die Ihr gesammelt habt, und Ihr werdet feststellen, daß es wesentlich besser wirkt.«
Er beugte sich vor, hielt den Löffel in die Spitze der Kerzenflamme, bis der Beifuß sich entzündete und dabei reichlich Rauch und einen schweren moschusartigen Geruch absonderte. Drefan ließ den qualmenden Löffel über Caras Bauch kreisen und hüllte ihn so in Rauch.
Schließlich gab er den Löffel mit dem kokelnden Beifuß an Nadine weiter. »Haltet ihr das zwischen die Füße.«
Er legte die Finger an die Schläfen und sprach leise murmelnd einen Sprechgesang.
Dann löste er die Hände von seinem Kopf. »Jetzt paßt auf, und Ihr werdet sehen, was ich sehen kann, Ihr werdet fühlen, was ich – ohne den Rauch – fühlen kann.«
Er legte Cara die Daumen an die Schläfen und die kleinen Finger seitlich an den Hals.
Ein Ruck ging durch die dichte Schicht aus Beifußrauch.
Kahlan stockte der Atem, als sie seilartige Rauchlinien sah, die sich über Caras gesamtem Körper wanden und schlängelten. Drefan löste seine Hände, und die Rauchspuren erstarrten zu einem ruhenden Geflecht aus Linien. Einige spannten sich von ihrem Brustbein zu ihren Brüsten, ihren Schultern, Hüften und Schenkeln. Ein Gewirr aus Linien führte von der oberen Hälfte ihres Kopfes zu Punkten überall auf ihrem Körper.
Drefan fuhr mit dem Finger an einer entlang. »Seht Ihr diese hier? Von ihrer linken Schläfe zum linken Bein? Seht her.« Er preßte seine Finger links gegen die Unterseite ihres Schädels, und die Rauchlinie wechselte hinüber auf das rechte Bein. »Da. Dort gehört sie hin.«
»Was hat das alles zu bedeuten?« fragte Kahlan verwundert.
»Das sind ihre Meridianlinien: der Fluß ihrer Kraft, ihres Lebens. Ihre Aura. Es ist noch mehr als das, aber es ist schwierig, Euch das alles mit ein paar wenigen Worten zu erklären. Ich habe nichts anderes getan als das, was ein Sonnenstrahl tut, der die durch die Luft treibenden Staubpartikel sichtbar macht.«
Nadine war die Kinnlade
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