Der Tempel der vier Winde - 8
Rahl als grau wie Richards, wiesen dennoch die gleiche raubvogelhafte Schrägstellung auf. Seine Züge besaßen dieselbe unfaßbare Perfektion einer Statue wie die von Darken Rahl. Diese grausame Vollkommenheit hatte Richard nicht geerbt. Drefans Äußeres, irgendwo in der Mitte zwischen beiden, neigte ein wenig mehr zu Darken Rahl als zu Richard.
Aber obschon kein Mensch Drefan mit Richard verwechseln würde, hätte niemand Mühe zu erkennen, daß sie Brüder waren.
Sie fragte sich, wieso Cara dieser Irrtum unterlaufen war. Dann sah sie den Strafer in Caras Faust. Mit ›Lord Rahl‹ hatte Cara gar nicht ihn gemeint. Sie hatte in ihrem verwirrten Zustand keinesfalls Richard in ihm gesehen.
Sie hatte ihn für Darken Rahl gehalten.
14. Kapitel
In der vollkommenen Stille hörte man nur, wie Richard mit dem Daumennagel auf eine der Spitzen des zurückgebogenen Handschutzes seines Schwertes klickte. Der Ellenbogen seines anderen Armes ruhte auf dem polierten Tisch, während er den Kopf mit dem Daumen unter seinem Kinn und dem Zeigefinger an seiner Schläfe stützte. Gelassener Miene bemühte er sich, seinen Zorn im Zaum zu halten. Er war außer sich. Diesmal waren sie zu weit gegangen, und das wußten sie.
In Gedanken war er die gesamte Liste mit möglichen Strafen durchgegangen, hatte sie aber allesamt verworfen, nicht weil sie zu streng waren, sondern weil er wußte, daß sie nichts bewirken würden. Schließlich entschied er sich für die Wahrheit. Nichts war härter als die Wahrheit, und bei nichts anderem war die Wahrscheinlichkeit so groß, daß es ihm gelang, zu ihnen durchzudringen.
Berdine, Raina, Ulic und Egan warteten in einer Reihe vor ihm. Stocksteif standen sie da, die Augen auf irgendeinen Punkt hinter seinem Kopf gerichtet, während er an dem Tisch in dem kleinen Zimmer saß, das er als Empfangs- und Arbeitszimmer benutzte.
An der Wand neben dem Tisch hingen kleine Landschaftsbilder mit idyllischen ländlichen Szenen, durch das Fenster aber, durch das die Strahlen der Morgensonne in flachem Winkel fielen, funkelte das massige Antlitz der Burg der Zauberer unheilvoll auf ihn herab.
Er war erst seit einer Stunde wieder in Aydindril – lange genug, um in Erfahrung zu bringen, was seit seinem Aufbruch am vergangenen Abend vorgefallen war. Seine vier Bewacher waren seit vor Einbruch der Dämmerung zurück. Als Raina und Egan am Abend zuvor ins Lager hereinspaziert waren, hatte er ihnen den Befehl erteilt, nach Aydindril zurückzukehren. Sie hatten geglaubt, er würde sie nicht mitten in der Nacht zurückschicken. Darin hatten sie sich getäuscht. So unverschämt sie sonst auch waren, der Blick in seinen Augen hatte dafür gesorgt, daß keiner der vier es wagte, sich zu widersetzen.
Auch Richard war viel früher als geplant zurückgekehrt. Er hatte den Soldaten die Löscheichen gezeigt, hatte ihnen erklärt, was sie davon sammeln sollten, und war dann, anstatt die Arbeiten zu beaufsichtigen, noch vor Sonnenaufgang wieder nach Aydindril aufgebrochen. Nach dem, was er in jener Nacht gesehen hatte, war er zum Schlafen zu nervös gewesen und hatte so schnell wie möglich wieder in Aydindril sein wollen.
Während er mit den Fingern auf die Tischplatte trommelte, beobachtete Richard, wie seine Bewacher schwitzten. Berdine und Raina trugen ihre braune Lederkleidung. Ihre langen, geflochtenen Zöpfe waren durch den harten Ritt in Unordnung geraten.
Die beiden gewaltigen, blondschöpfigen Soldaten, Ulic und Egan, trugen dunkle Lederuniformen.
Die dicken Lederharnische waren so geformt, daß sie wie eine zweite Haut über den deutlichen Konturen ihrer Muskeln lagen. Mitten auf der Brust, in das Leder eingekerbt, sah man den verschnörkelten Buchstabe ›R‹, der für das Haus Rahl stand, und darunter zwei gekreuzte Schwerter. Um die Arme, gleich über den Ellenbogen, trugen sie goldene Reifen, auf denen rasiermesserscharfe Dorne blinkten – Waffen für den Nahkampf.
Kein D’Haraner außer Lord Rahls persönlichen Leibwächtern trug solche Waffen. Es waren die seltensten, höchsten Ehrenzeichen, die sie sich, er wußte nicht wie, verdient hatten.
Richard hatte die Herrschaft über ein Volk angetreten, das er nicht kannte, mit Bräuchen, die ihm größtenteils ein Rätsel waren, und Erwartungen, die er nur teilweise begriff.
Auch diese vier hatten seit ihrer Rückkehr herausgefunden, was am Abend zuvor mit Marlin geschehen war. Sie wußten, weshalb man sie gerufen hatte, aber bislang hatte er noch nicht
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