Der Tempel zu Jerusalem
zeigten.
«Niemand
unter uns ist fähig, deine Nachfolge anzutreten», wehrte sich ein Meister.
«Jeder weiß das, und du am allerbesten. Warum sollten wir uns etwas vormachen?»
«Fahrt fort,
nach den Gesetzen zu arbeiten, die ihr gelernt habt. Ihr dürft gewiß sein, daß
ich euch nie verlasse, auch wenn uns große Entfernungen zu trennen scheinen.»
Etliche
dieser rauhen Gesellen weinten, obwohl sie Leid und Schmerz gewohnt waren.
Einer von ihnen nahm ihm das Versprechen ab zurückzukehren. Wie könnte die
Bruderschaft einig bleiben, wenn der, der ihr Leben eingehaucht hatte, nicht
mehr da war?
«Weisheit ist
nicht der Besitz eines einzigen Menschen», erwiderte Hiram. «Die Ausübung
unserer Kunst macht aus euch und euren Brüdern ganze Menschen. Vergeßt euch
selbst und denkt nur daran, wie ihr eure Erfahrung weitergeben könnt. Ich für
mein Teil habe beschlossen, eine neue Welt zu erobern. Wenn in den größten
Ländern der Erde erst Tempel errichtet sind, gibt es keine Grenzen mehr
zwischen erleuchteten Seelen.»
Die Meister
wußten, daß sie zum Scheitern verurteilt waren, ließen aber davon ab, Hiram
zurückzuhalten. Sie kamen überein, daß der Oberbaumeister zunächst einmal dem
Zorn Salomos entrinnen mußte, der sich über die wachsende Macht der
Bruderschaft ärgerte. Man würde die Ankunft des Baumeisters in einem östlichen
Land vorbereiten, wo er aufs neue Leiter aller Handwerker und Arbeiter werden
würde.
Das Erntedankfest hatte die
ganze Nation vereint, man hatte Jahwe und Salomo zusammen angebetet. Das Volk
war bis zum heiligen Felsen hochgestiegen, Priester an der Spitze, die Psalmen
beteten und vom König verfaßte Gesänge sangen. Den Glückskindern und den
Pfiffigsten war es gelungen, den Vorhof zu erreichen, auf dem sich Tausende von
Gläubigen drängten.
Bei dem
Festmahl im Palast erlebten die Würdenträger eine Überraschung: Königin Nagsara
war anwesend und saß neben Salomo. Geschmückt mit den prächtigsten Kleinodien,
sorgfältig geschminkt, damit man nicht sah, wie mager sie war, blendete die
Ägypterin alle. Während des Mahls lächelte sie und unterhielt sich so munter
wie seit einigen Jahren nicht mehr. Zufrieden lauschte sie den Lobpreisungen an
die Adresse des Herrschers, interessierte sich für Gerüchte einer möglichen
Absetzung Meister Hirams, bestätigte, daß sie nichts dagegen hätte, wenn die
Königin von Saba abreiste, die man nicht zu diesem Fest geladen hatte.
Am Ende des
Festmahls bat Nagsara Salomo, sie zu ihren Gemächern zu geleiten. Auf der
Schwelle zu ihrem Schlafgemach bat sie ihn hinein. Der König weigerte sich.
Lebten sie denn nicht seit vielen Monaten getrennt? Doch die Ägypterin
beharrte, und er gab nach. Als sie zurücktrat, damit er vorbeigehen konnte,
verwunderte er sich über den Teppich aus Lilien und Jasmin.
«Das hier ist
der Garten, in dem ich erneut deine Liebe genießen möchte.»
Nagsara legte
ihr Diadem ab, fiel vor Salomo auf die Knie und küßte ihm die Hände. Am
Vorabend hatte sie in die Flamme gesehen, bis die in ihre Pupille eindrang und
die Qualen von einst verbrannte. Die junge Frau war von einer alles
verschlingenden Gewalt besessen, die ihr jegliche Freiheit raubte. Nur Salomos
Liebe konnte sie davon erlösen.
Langsam
schoben die Finger mit den lackierten Fingernägeln die Träger des Leinenkleides
von den fröstelnden Schultern. Zärtlich unterbrach Salomo die Ägypterin.
«Bitte… ich
möchte mich dir anbieten!»
Salomo
bemerkte den Dämon, der seine Gemahlin quälte.
«Nagsara, du
bist auf dem Weg der Finsternis zu weit gegangen.»
«Nein, mein
Gebieter! Gewiß nicht… Deine Zärtlichkeiten vertreiben sie, deine Küsse
vernichten sie!»
«Du irrst.
Meine Liebe ist tot. Auch wenn sie so ausgedehnt wie die Überschwemmung des
Nils wäre, sie hätte dir die Qualen nicht erspart, die du selbst gewählt hast.»
Der König
betete zum Herrn in der Wolke. Warum konnte Jahwe kein erneutes Verlangen nach
dieser ihn vergötternden Gemahlin wecken, ein erneutes Feuer für diese
anrührende Frau? Doch Jahwe blieb stumm. Salomo sah Nagsara mitleidig an. Als
seine Hände die Stirn der Ägypterin berührten, spürte er eine Hitze, wie sie am
Ende der schlimmsten Krankheiten auftrat.
«Liebe mich…»
«Ich liebe dich, Nagsara,
aber wie ein Vater seine Tochter liebt.»
In einem Vorort Jerusalems unterhielten sich hinten in
einer Schenke drei Männer mit leiser Stimme. Der syrische Maurer, bärtig
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