Der Tempel zu Jerusalem
gräßlichen Frauen.»
«Majestät…»
«Ich verbiete
dir, mich anzusprechen. Salomo ist meiner unwürdig. Und du wärst in Ägypten
nicht einmal Fischer im Delta. Ich steige nicht wieder aus diesem Wagen aus.»
Nagsara ging
zu ihrem Gefährt. Sie konnte nur einige Schritte machen, denn auf der Schwelle
des Gebäudes stand Salomo, der sich die Ankunft der Pharaonentochter angesehen
hatte.
Er lächelte friedfertig.
Nagsara musterte ihn. Die blauen Augen des Königs von Israel waren bezaubernd.
Sie entzückten die Seele. Die jugendlichen Züge verrieten eine eigenartige
Reife.
«Vergib mir,
daß ich mich verspätet habe», bat er freundlich. «Bei einem König ist ein
Mangel an Höflichkeit unverzeihlich. Ich könnte dir erklären, daß ich dem
Hohenpriester die Stirn bieten mußte, weil er gegen unsere Heirat ist, aber
überzeugt dich das?»
«Ein großer
König ist von keinem seiner Untertanen abhängig», entgegnete Nagsara, «und
schon gar nicht von einem Priester.»
Das hatte schneidend klingen
sollen, doch ihr Blick strafte ihre Worte Lügen. In Wahrheit konnte sie sich
kaum der Faszination entziehen, die von ihm ausging. Salomo war kein Untier,
sondern ein wunderschöner Mann.
«Du hast recht», meinte der
Herrscher. «Dieser Ort ist deiner Abkunft keineswegs angemessen. Aber Jerusalem
ist nicht Tanis oder Theben. Ich habe die Absicht, meine Hauptstadt prächtig zu
gestalten. Hast du noch ein wenig Geduld? Du bekommst eigene Gemächer, damit du
nicht in Berührung mit den Nebenfrauen kommen mußt.»
Nagsara hätte gern
aufbegehrt, lautstark bekräftigt, daß diese Vorkehrungen nicht genügten, daß
sie den Frieden garantieren, jedoch nicht das Bett mit einem fremdländischen
König teilen müsse, doch die Worte wollten ihr nicht über die Lippen.
«Ruhe dich
aus, Nagsara, und bereite dich auf das Festmahl vor, mit dem wir unseren Bund
feiern.»
Nathan, der Lehrer, hatte
Salomo die Geheimnisse des Elfenbeins, das der Elefant wachsen ließ, des
Honigs, den die Biene herstellte, der Perle in der Muschel und des Gifts der
Viper gelehrt. Er hatte ihm die Bedeutung des Falkenflugs, die Kunst, wie man
Obst auswählte und die Namen der Sterne erklärt, denen er Küsse schickte, um
ihnen für ihr Funkeln zu danken. Der Sonne opferte er heiliges Öl, dem Mond
Duftsalbe. Er hatte Edelsteine ins Meer geworfen, damit die Wogen schöner
glitzerten. Nathan hatte Salomo gezeigt, wie man Trugbilder und Dämonen
verscheuchte, indem man mit Haselstecken auf Katzenfelle einschlug. Vom Meister
hatte der Schüler erfahren, daß der Hahn das Licht und die Schwalbe
erquickenden Regen ankündigten, daß die Eule bei Nacht deutlich sehen konnte
und der Kranich die Jahreszeiten gliederte. Salomo hatte das Geheimnis des
Adlers geteilt, der direkt in die Sonne sehen konnte.
Als dem
jungen Mann dieses Wissen in Fleisch und Blut übergegangen war, hatte Nathan
ihm gezeigt, wie man in die Zukunft sehen konnte. Nicht Hellseherei, das
traurige Erbteil der gefallenen Engel, sondern Astrologie, die Kunst der
Könige, die schon seit Urzeiten ausgeübt wurde.
Salomo zog
einen Tierkreis in den Sand. Er beobachtete den Himmel, ermittelte die Planeten
und zeichnete ihren Standort in die Zeichen. Nur der König hatte das Recht, die
Zukunft zu kennen, nicht für sich selbst, sondern für das Gemeinwesen, für das
er verantwortlich war. Salomo las, was die Sterne zu diesem Tag sagten, an dem
die Pharaonentochter in Jerusalem eingetroffen war und eine neue Ära
eingeläutet hatte, die sich weder David noch seine Vorgänger hatten vorstellen
können. Darauf wollte er die fernere Zukunft wissen und bat den Himmel um eine
Vision von künftigen Tagen.
Die Antworten
waren zweideutig und ihm noch nie so verschlüsselt vorgekommen, denn sie
bildeten ein unauflösbares Netz wie die Straßen von Jerusalem. Kündigten sie
nun Glück oder Unglück, Erfolg oder Scheitern an? Falls der Tierkreis und seine
Sterne die Aussage verweigerten, durfte Salomo dann nicht das Ruder übernehmen
und vor keiner Gefahr zurückschrecken?
Als der König von Israel die
Zeichnung löschte, hatte er das Gefühl, als hätte man ihm ein kostbares
Hilfsmittel geraubt. Wie ein Seemann, der in einen Sturm gerät, konnte er sich
nur noch auf sein Gespür verlassen, wenn er nicht Schiffbruch erleiden wollte.
Salomos
Tagträume waren geplatzt. Seine Ehe stürzte sein Volk in Verwirrung. Mit dem
Werfen der Würfel hatte er das Spiel des Herrn in der Wolke gespielt.
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