Der Tempel zu Jerusalem
die Kraft, darauf hinzuweisen, daß dies
gegen die Gepflogenheiten verstieß und daß sie die erste Pharaonentochter war,
die man mit einem Fremdling vermählte.
Nagsara
weinte einen ganzen Tag lang. Sie dachte daran, sich vom Palast zu stürzen.
Doch Selbstmord stand nur den zum Tode Verurteilten zu. Kein menschliches Wesen
hatte das Recht, sich selbst auszulöschen, denn die Strafe war das Verlöschen
der Seele, so daß man nicht mehr die Pforte zum Jenseits durchschreiten konnte.
Bis zur
Abreise hatte Nagsara in einem Nebel gelebt, wie er sich an einem Wintermorgen
über die Straßen von Tanis legte und sich erst verflüchtigte, wenn die Sonne
die Oberhand gewann. Doch das Herz der Pharaonentochter, das zu Eis erstarrt
war, konnte den Weg zum Licht nicht mehr finden.
Sie, die
immer lächelte, sah traurig und erschöpft aus. Sie verzehrte sich und ließ sich
schminken und frisieren, ohne sich zu rühren. Ihre Zofe weinte. Da hatte sie
die noch kindlichen Züge Nagsaras verschönt, ohne daß es sie erheitert hätte.
Die geflochtene, nach Jasmin duftende Perücke war ein Kunstwerk. Die schwarzen
Augen der Prinzessin, ihre mit Rot betonten Lippen, ihre mit ein wenig Rouge
gepuderten Wangen und ihre langen Wimpern verliehen ihr einen bezaubernden
Liebreiz. Doch wozu war es gut, so verführerisch herausgeputzt zu werden, wenn
man zur schlimmsten aller Strafen, nämlich der Verbannung, verurteilt war?
Seit dem
Aufbruch in Tanis hatte Nagsara die Augen zugemacht und gehofft, daß dieser
falsche Schlaf sie ins Reich der Götter bringen würde. Als sie diese wieder
aufschlug, stellte sie fest, daß sie sich in einem von aufgeputzten Pferden
gezogenen Wagen auf der mit Basalt gepflasterten Straße befand, die nach
Jerusalem führte, gefolgt von Wagen mit Geschenken für Salomo. Die Prinzessin
wurde von einer Leibwache beschützt und hatte eine zahlreiche Dienerschaft, die
den Auftrag hatte, ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Doch welchen
Wunsch hätte eine Pharaonentochter, die einem fremdländischen König versprochen
war, den sie mehr fürchtete als einen nächtlichen Dämon, wohl äußern mögen?
Es war
Winteranfang, und der Himmel hatte sich in unruhiges Grau gehüllt. Der Zug
hatte Regen und Wind trotzen müssen, nachdem er die lichten Morgenröten und
Sonnenuntergänge Ägyptens hinter sich gelassen hatte.
Übelriechender
Fischgeruch stieg Nagsara in die Nase. In der Hauptstadt Israels war Markttag.
Die Gäßchen stanken. Sie waren so schmal, daß der Wagen nur mit Mühe durchkam.
Nagsara stieß einen Schreckensschrei aus, als sich ein Dutzend Bettler, einer noch
wilder als der andere, an das Holzgitter klammerte, das ihr als Fenster diente.
Die Zerlumpten mit den schmutzigen Händen wollten die schöne Ägypterin
berühren, die aus einem legendären Land kam. Bogenschützen drängten sie brutal
beiseite. Sie nahmen Reißaus und trampelten dabei einen Leprakranken nieder,
der nicht schnell genug hatte fliehen können.
Eingeklemmt
zwischen den Häusern der Reichen mit Dächern aus Ziegeln und denen der Armen
mit Dächern aus Ried und gestampftem Lehm, bemühten sich die Soldaten
vergeblich, so etwas wie Ordnung herzustellen. Der Tumult erreichte seinen
Höhepunkt. Die Menge zeigte eine geräuschvolle Freude, denn zu ihrem Erstaunen
hatte sie festgestellt, daß das Gerücht nicht getrogen hatte: Man bot dem König
von Israel eine Pharaonentochter an.
Hier gab es keine
Prachtstraße wie in Theben oder Memphis, sondern eine Abfolge von kleinen,
verschlungenen Verkehrsadern, einige davon mit Stufen, damit die mit Nahrung
beladenen Esel leichter hochklettern konnten. Nagsara hatte das Gefühl, sie
betrete eine enge, erstickende Welt, in der sie ihr Leben lang eine Gefangene
sein würde.
Für immer
dahin die Gärten vor den Herrenhäusern des ägyptischen Adels, die Bäume und die
blühenden Büsche, verschwunden die mit Blättern überrankten Holzlauben, in
denen man frische Luft schöpfte.
Eine Gänse-
und Hühnerschar aus einem Gehöft mitten in der Hauptstadt kam dem Wagen in die
Quere. Der Vorfall entlockte Nagsara kein Lächeln, doch ein bekannter Duft
beschwichtigte flüchtig ihre Bangigkeit, sie roch die Blüten eines riesigen
Jasmins, der die Mauern eines kleinen Hofes schmückte, auf dem sich
Kupfergegenstände türmten. Ein Wunder um diese Jahreszeit. Die junge Frau
liebte diesen Duft, der sie an ihre kindlichen Spiele am Badeteich des Palastes
erinnerte.
Die Räder
drehten sich ein paarmal, und
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