Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tempel zu Jerusalem

Der Tempel zu Jerusalem

Titel: Der Tempel zu Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
Vom Netzwerk:
doch wohl?»
    «Das
verbieten die Vorschriften der Baustelle.»
    «Diese
Prüfung… ist sie unerläßlich?»
    «Unerläßlich.»
    Kaleb trat
wieder einen Schritt vor.
    «Ich möchte
lieber nichts sehen.»
    «Wie du willst.»
    Alsdann
verband Hiram dem Hinkefuß die Augen.
    «Bleib schön
am Fleck», befahl er.
    Der Oberbaumeister betrat den
Prüfungsraum, in dessen Mitte er zwei würfelförmige Blöcke aufeinandertürmte.
Dann lehnte er ein langes, schmales Brett daran und kehrte zu Kaleb zurück.
    «Nimm meine Hand», sagte er.
«Hab keine Angst. Wenn du mutig bist, überlebst du.»
    Kaleb
zitterte am ganzen Leib.
    Beim Gehen
verstärkte sich sein Hinken. Auf einmal hatte er den Eindruck, es ginge einen
steilen und glatten Abhang hoch. Hiram ließ ihn los.
    «Ich habe Angst!» schrie
Kaleb.
    «Weiter»,
riet ihm Hiram, «nicht zurückgehen!»
    Das Brett
schaukelte unter Kalebs Schritten. Er verlor das Gleichgewicht, stieß einen
verzweifelten Schrei aus, fiel vornüber und war sich gewiß, daß er sich den
Hals brechen würde.
    Hiram fing
den Hinkefuß auf, ehe er den Boden berührte. Er setzte ihn hin, stellte Steine
und Brett an der Mauer auf und nahm ihm die Augenbinde ab.
    «Du hast
bestanden. Von jetzt an gehörst du zur Bruderschaft.»
    Kaleb rang
noch immer nach Atem.
    «Wenn es noch
andere Prüfungen wie die da gibt», erklärte er, «dann verzichte ich lieber.»
    «Beruhige dich. Ich habe eine
ganz bestimmte Aufgabe für dich.»
    «Und welche?»
    «Du wirst auf
der Baustelle meine Augen und Ohren sein. Du gehst überall herum, du
beobachtest, du hörst zu. Dein Gedächtnis ist hervorragend. Du sollst zwar
nicht verpfeifen, aber vergiß die Lobreden. Berichte mir von Kritik und
Unzufriedenheit.»
    An der Tür
zum Prüfungsraum klopfte Anup fröhlich mit dem Schwanz und wartete auf Hiram.
Er hüpfte ihm in die Arme, denn auch er verstand sich aufs Auflauern. So war
Hiram nicht mehr ganz allein. Auf diese beiden Aufpasser konnte er zählen.

 
    Kapitel 27
     
     
     
    Kaleb machte sich auf
Hirams Anordnung hin nach und nach mit jedem Arbeiter bekannt, der auf der
Liste des Oberbaumeisters stand. Er gab ihnen das Erkennungswort ‹Meine Kraft
ist die des Herrn› und rief sie im Prüfungssaal zusammen. Bei hereinbrechender
Nacht stellten sie sich dort ein, und Hiram befragte und umarmte sie. Als sie
alle in der nordöstlichen Ecke versammelt waren, erklärte er ihnen, was er von
ihnen verlangte: Sie sollten nicht nur genausoviel arbeiten wie ihre Gefährten,
sondern auch noch in die Kunst des Bauens eingeführt werden, und das zu einer
Zeit, wenn die übrige Baustelle ruhte. Was sie sahen und hörten, unterlag der
Schweigepflicht, und die zukünftigen Schüler mußten schwören, bei Todesstrafe
nichts davon weiterzugeben.
    Drei darunter
verzichteten lieber und verließen die Versammlung. Die anderen schworen. Die
Unterweisung begann unverzüglich. Kaleb stand in eine Wolldecke eingemummt
draußen vor dem Gebäude Wache. Anup half ihm bei der Arbeit.
    Die Arbeiter
setzten sich auf den Fußboden. Hiram gab ihnen Schiefertafeln und Kreide.
Geduldig lehrte er sie die Zeichen der Baumeister-Bruderschaft, Punkt, gerade
Linie, Viereck, Rechteck… Er bestand auf einer sicheren Hand, die mit einem
einzigen Strich vollendet zeichnete. Darauf machte er ihnen klar, daß auch der
menschliche Körper gemäß geometrischer Proportionen gebaut war und für das
Wirken eines göttlichen Baumeisters zeugte. Er erlaubte ihnen, die Ewigkeit der
vom Geist erschaffenen und der Hand übermittelten Formen zu erfahren. Zum
Schluß teilte er ihnen die wichtigsten Gebote der Baumeisterregel mit: Arbeiten
für den Ruhm des Schöpfungsprinzips, kein Streben nach persönlichem Gewinn,
Wahrung der Interessen der Bruderschaft, Schweigen und Behandlung der Werkzeuge
wie lebendige Wesen.
    Während die
Zufahrtsstraße zum Felsen und seine Planierung vorangingen, erteilte Hiram
einen gedrängten Unterricht. Die Neulinge waren zwar nicht alle gleichermaßen
begabt, zeigten aber denselben guten Willen und wollten Fortschritte auf dem
vom Oberbaumeister vorgezeichneten Weg machen. Nachdem sie ihn zunächst
gefürchtet hatten, wuchs ihre Bewunderung von Mal zu Mal. Der Baumeister
verstand sich darauf, jeden seiner Schüler so anzusprechen, wie es ihm zukam.
Streng, unnachgiebig, unnachsichtig bei Erlahmen, jedoch begeistert, wenn ein
neuer Schritt geschafft war.
    Zwei Monate
später hatten sie den Eindruck, in einer anderen Welt zu leben. Sie

Weitere Kostenlose Bücher