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Der Tempel zu Jerusalem

Der Tempel zu Jerusalem

Titel: Der Tempel zu Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
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zwang ihn, das nächste
Wegstück anzugehen, vor dem er sich jedoch fürchtete. Die Zeichenwerkstatt
stand den Gesellen offen, die dort Werkzeuge und Schürzen ablegten und die Tag-
und Nachtwache stellten.
    «Nein,
Majestät. Ich werde von nun an im Steinbruch wohnen, zusammen mit dem Stein.
Das ist die Lösung. Er ist wahrhaftiger als die Menschen. Wer ihn achtet, den
läßt er nicht im Stich.»
    Salomo
versuchte nicht, Hiram abzuhalten. Er hatte sich geirrt, sein Versuch, ihn zu
brechen, war gescheitert. Einerseits war er bedrückt, weil seine List nichts
bewirkt hatte, doch andererseits war er beruhigt, weil sein Tempel einen
Oberbaumeister seines Schlages hatte. Dennoch mißtraute er dieser Bewunderung,
die ihn schwächte. Nur er herrschte, nur er durfte herrschen, so viel kostete
Israels Glück.
     
     
    Der Baumeister arbeitete
nächtelang an der Fertigstellung des unterirdischen Saals, zu dem ein schmaler
Stollen führte, der Kaleb und Anup verboten war. Er hatte ihn wie einen Würfel
geformt. Die Nische hinten glich der des mittleren Raums der großen Pyramide,
war eine Art Leiter zum Himmel, die der Schüler hochstieg, der im Herzen der
Erde und des Steins aufbrach und sich durch unzählige Türen, sichtbare und unsichtbare,
dem Urlicht näherte.
    Bei der
Zeremonie der Lohnauszahlung wählte Hiram neun Gesellen aus, denen er kein
Gehalt gab und die er bat, auf ihn zu warten. Dieses ungewohnte Ereignis löste
Furcht und Neid bei den anderen Gesellen aus. Was war los? Wurden diese Männer
nun bestraft oder befördert? Und warum gerade diese und keine anderen?
    Der
Baumeister war gezwungen, sie an ihre Schweigepflicht zu erinnern.
    Dann führte er die neun
Gesellen in die Höhle, der Hund und der Hinkefuß bildeten die Nachhut und
stellten sicher, daß ihnen niemand folgte.
    Wie Hiram zog
jeder den Kopf ein und stieg gebückt hinunter, wo der steinerne Tunnel in dem
geheimen Heiligtum endete, das von einer einzigen Fackel erhellt wurde. Die
Gesellen stellten sich im Kreis um den Oberbaumeister auf, der einen von ihm
vollendet geformten Schiebestein entfernte, so daß die Maßschnur und der Stock
mit den sieben Palmwedeln zum Vorschein kamen.
    «Das hier sind die
Instrumente der Meister», teilte er ihnen mit. «Mit ihnen berechnet ihr die
Proportionen des Tempels. Ich lehre euch die heiligen Zahlen, aus denen die
Natur in jedem Augenblick erschaffen wird und deren Geheimnis durch die
behauenen Steine weitergegeben wird. Aber vorher müßt ihr für diese Welt
sterben.»
    Einige
sträubten sich, denn sie waren allesamt junge Männer, die nicht die geringste
Lust hatten, die Welt zu verlassen.
    «Hat einer
von euch Angst?»
    Jeder ging in
sich. Sie waren von Furcht gepeinigt, doch das Verlangen, in neue Geheimnisse
eingeführt zu werden, war stärker.
    Hiram bot
jedem Gesellen einen Becher Wein an.
    «Wenn ihr würdig seid, wird
euch dieses Getränk die Kraft geben, alle Prüfungen zu bestehen. Wenn ihr
jedoch gelogen habt, wenn ihr verraten habt, wenn euer Wort nicht wahr ist,
sterbt ihr augenblicklich.»
    Die Hände,
die den Becher entgegennahmen, zitterten, doch keiner lehnte ab.
    «Trinkt»,
befahl Hiram.
    Die Gesellen
gehorchten mit zugeschnürter Kehle. Einer von ihnen verspürte ein heftiges
Brennen in der Brust. Er hatte bereits einen schrecklichen Tod vor Augen, doch
das Unbehagen verflog. Seine Gefährten standen noch alle. Sie musterten sich
gegenseitig und waren froh, dieses Hindernis überwunden zu haben.
    «Streckt euch auf dem Boden
aus und richtet den Blick auf das Steingewölbe.»
    Hiram zog den
Gesellen die Schürze aus und bedeckte ihre Augen.
    «Ihr gehört
nicht mehr zur Welt der gewöhnlichen Menschen. In euch bekämpfen sich jetzt
Leben und Tod, damit der Tod sterben und das Leben siegen kann. Eure
Vergangenheit ist nicht mehr. Ihr gehört dem zukünftigen Tempel. Ihr seid die
Diener des großen Werkes. Kein anderer Meister kann euch sein Gesetz
aufzwingen. Gemäß den Regeln der Bruderschaft bin ich euer Hüter, ich lehre
euch die Kunst.»
    Hiram legte
den Stab auf die Körper der Liegenden und beschrieb von Kopf bis Fuß die Achse,
um die herum sich ihr Leben von nun an drehen würde. Der Baumeister gab die
Einführung weiter, die auch er erhalten hatte. Er hatte am eigenen Leib die
Kraft dieser Oberbaumeister-Regel erfahren, in welche die Proportionen eingeschrieben
waren, nach denen der Tempel wie ein lebendiges Wesen erschaffen wurde.
    Eine
angenehme Benommenheit ergriff die Gesellen.

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