Der Tempel
war der Gewitztere der beiden. Er glänzte in der Schule und wurde deswegen verachtet. Er sah nicht gut aus und schon als Neunjähriger war er das Ebenbild ihres Vaters – die Schultern gekrümmt, die Augenbrauen buschig. Er hatte ständig einen finsteren Gesichtsausdruck, der an Richard Nixon erinnerte.
Im Gegensatz zu ihm hatte Race die Attraktivität ihrer Mutter geerbt – sandbraunes Haar und himmelblaue Augen.
Als Jugendlicher ging Will mit seinen Freunden in die Stadt, während Marty daheim bei seinen Computern und seiner preisgekrönten Sammlung von Elvis-Presley-Platten blieb. Mit 19 hatte Marty noch immer keine Freundin. Das einzige Mädchen, an dem er je Gefallen gefunden hatte – eine hübsche, junge Cheerleaderin namens Jennifer Michaels –, war ausgerechnet in Will verknallt. Marty war am Boden zerstört gewesen.
Dann kam die Collegezeit, und während sich seine Quälgeister aus der Highschool davonmachten, um Bankkassierer oder Grundstücksmakler zu werden, arbeitete Marty zielstrebig auf die Computerlaboratorien des MIT hin – mit der Unterstützung seines Vaters, eines Computerfachmanns.
Race dagegen – ganz gewiss intelligent, jedoch weniger zum Akademikerleben veranlagt – ging mit einem halben Sportstipendium zum USC. Dort begegnete er Lauren O’Connor. Er warb um sie, verlor sie, und währenddessen studierte er Sprachen.
Dann ließen sich ihre Eltern scheiden.
Es geschah vollkommen unerwartet. Eines Tages kam Race’ Vater vom Büro nach Hause und sagte seiner Mutter, dass er sie verlassen werde. Wie sich herausstellte, hatte er seit fast elf Monaten eine Affäre mit seiner Sekretärin.
Die Familie zerbrach.
Marty, damals 25, besuchte den Vater regelmäßig – schließlich war er schon immer sowohl dem Aussehen als auch dem Verhalten nach sein Ebenbild gewesen.
Race jedoch vergab seinem Vater nie. Als er 1992 an einem Herzinfarkt starb, nahm Race nicht einmal an der Beerdigung teil.
Es war die klassische amerikanische Kernfamilie – mit verfaultem Kern.
Race riss sich aus seinen Gedanken los und kehrte in die Gegenwart zurück – in ein Wasserflugzeug, das über den Dschungeln Perus dahinflog.
»Was ist mit Lauren und Copeland?«, fragte er Van Lewen. »Sind sie auch bei der Special Projects Unit?«
»Ja«, erwiderte Van Lewen ernst.
Schweinehund.
»Na gut«, meinte Race und wechselte das Thema. »Was wissen Sie über das Supernova-Projekt?«
»Ich schwöre, ich weiß nichts darüber«, entgegnete Van Lewen.
Stir nr unzelnd biss sich Race auf die Unterlippe.
Er wandte sich an Renée. »Was wissen Sie über das amerikanische Supernova-Projekt?«
»Ein wenig.«
Race hob erwartungsvoll die Brauen.
Renée seufzte. »Das Projekt wurde in nichtöffentlicher Sitzung des Congressional Armaments Committee im Januar 1992 beschlossen. Budget: 1,8 Millionen Dollar, gebilligt vom Senate Appropriations Committee, erneut in nichtöffentlicher Sitzung, im März 1992. Das Projekt sollte ein Jointventure von Defense Advanced Research Projects Agency und United States Navy sein. Der Name des Projektleiters lautet …«
» Warten Sie eine Sekunde«, unterbrach Race sie. »Die Supernova ist ein Projekt der Navy?«
»Das stimmt.«
Also hatte Frank Nash ihm mehr als eine Lüge aufgetischt, um ihn zur Teilnahme an der Mission zu veranlassen. Die Supernova war nicht einmal ein Projekt der Army.
Sondern der Navy.
Da fiel Race plötzlich etwas ein, das er in der Nacht zuvor gehört hatte, als er in dem Humvee eingesperrt gewesen war, und zwar vor dem Angriff der Großkatzen auf das BKA-Team.
Er entsann sich, die Stimme einer Frau gehört zu haben – vielleicht Renées Stimme –, die über Funk etwas auf Deutsch gesagt hatte, einen Satz, den er zu diesem Zeitpunkt verwirrend gefunden und Nash und den anderen nicht übersetzt hatte.
Was ist mit dem anderen amerikanischen Team? Wo sind die gegenwärtig?
Das andere amerikanische Team …
»Tut mir Leid, Renée, ich habe Sie unterbrochen«, sagte er. »Wer war der Leiter des Supernova-Projekts?«
»Sein Name ist Romano. Dr. Julius Michael Romano.«
***
Da war er wieder.
Der mysteriöse Romano. Endlich erfuhr Race, wer er war.
Das andere amerikanische Team. Ein Team der Navy.
Mein Gott …
»Also, lassen Sie mich die Dinge mal klarstellen«, sagte Race. »Die Supernova ist ein Projekt der Navy unter Leitung eines Mannes namens Julius Romano, ja?«
»Stimmt«, erwiderte Renée.
»Und Romano und sein Team sind gerade in Peru und
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