Der Tempel
traf das Seil, das Rencos Hände zusammenband, schnitt es in zwei Hälften und befreite ihn.
Renco sprang sofort auf. Im gleichen Moment wollte ihm der jetzt schwertlose Castino einen Hieb mit den riesigen Fäusten versetzen. Schnell riss der Prinz den Soldaten herum, der ihn am Altar festgehalten hatte, sodass dieser zwischen ihm und dem heransausenden Hieb stand, und Castinos mächtige Faust traf den Konquistadoren voll ins Gesicht, zerschmetterte ihm augenblicklich die Nase, drückte sie ihm in den Kopf und tötete ihn also mit einem einzigen Schlag!
Da richtete ein anderer Konquistador seine Muskete auf den Prinzen und schoss. Genau im selben Moment drehte Renco sich auf dem Absatz um, zog den toten Konquistadoren vor sich und benutzte ihn gewissermaßen als Schild. Die Kugel öffnete ein zerfranstes rotes Loch mitten in der Brust des toten Soldaten.
Nun stürmte Renco davon, um sich dem Kampf anzuschließen. Da zog der Konquistador, der meine Handgelenke über dem Altar festhielt, sein Schwert und funkelte mich in böser Absicht an.
Nun jedoch – rascher, als ein Mann blinzeln konnte – drang eine Pfeilspitze mitten aus seinem Gesicht. Der Soldat stürzte vor mir auf den Steinaltar – ein Pfeilschaft ragte ihm aus dem Hinterkopf.
Ich blickte in die Dunkelheit hinter ihm und suchte nach der Quelle der Pfeile.
Da sah ich ihn.
Einen Mann am Rand des Kraters oben.
Er zeigte sich als Silhouette vor dem Mond, hatte ein Knie in Schussstellung auf den Boden gesetzt und die Sehne eines Langbogens mit einem Pfeil darauf bis ans Ohr zurückgezogen.
Bassario!
Ich stieß ein Jubelgeschrei aus und machte mich sogleich daran, meine Fesseln zu lösen.
Das Gemetzel, das zu diesem Zeitpunkt im Gange war, war an Grausamkeit nicht zu überbieten. Es herrschte das reine und absolute Chaos. Die Lichtung vor dem Tempel war zu einem Schlachtfeld geworden – einem grimmigen, blutigen Schlachtfeld.
An einem Dutzend Stellen zugleich wurde erbittert gekämpft.
Drüben beim Tempel hatten die Rapas bereits fünf Konquistadoren getötet und jetzt stürzten sie sich gerade auf vier weitere Spanier und deren drei Fährtenleser, die Chancas.
Anderswo kämpften die sieben Inkakrieger – wegen des Affenurins auf ihren Körpern von den Rapas gemieden – mit den verbliebenen Soldaten. Einige fielen, als die Konquistadoren ihre Musketen auf sie abfeuerten, andere schlugen mit Felsbrocken, Steinen oder jeder anderen Waffe, derer sie habhaft werden konnten, auf ihre spanischen Gegner ein. Auf meinen Fahrten durch Neu-Hispanien hatte ich bereits viel Morden und Blutvergießen zu Gesicht bekommen, doch das hier war wirklich und wahrhaftig das brutalste und ursprünglichste Beispiel einer Schlacht, bei dem ich je Zeuge geworden war.
Renco und Castino hatten Schwerter aufgehoben und waren gerade in den grimmigsten aller Schwertkämpfe verstrickt.
Castino, deutlich größer als mein tapferer Gefährte, hielt sein Schwert beidhändig und ließ einen wahren Hagelschauer aus machtvollen Hieben auf Renco niederprasseln.
Aber Renco parierte gut – einhändig, genau wie ich es ihn gelehrt hatte –, tänzelte wie ein klassischer spanischer Fechter im Schlamm und wahrte das Gleichgewicht, während er sich auf das Laubwerk zurückzog.
Als ich endlich das Seil um mein linkes Handgelenk gelöst hatte und auf den Beinen stand, wurde mir klar, was für ein gewitzter Schüler Renco gewesen war. Ich erkannte deutlich, dass der Schüler seinen Lehrer bei weitem übertraf.
Seine Fechtkunst war atemberaubend.
Bei jedem mächtigen Schlag, den Castino gegen ihn führte, brachte Renco rasch sein Schwert hoch – gerade rechtzeitig, um den Hieb aufzuhalten.
Die Schwerter der beiden Männer krachten heftig aufeinander.
Castino schwang, Renco parierte. Castino machte einen Ausfall, Renco tänzelte.
Da brachte Castino einen wahrhaft teuflischen Hieb an, der so hart und rasch war, dass er jedem gewöhnlichen Mann den Kopf abgeschlagen hätte.
Nicht jedoch Renco.
Seine Reflexe waren zu gut. Er duckte sich unter dem Hieb weg und in dem darauf folgenden, flüchtigen Augenblick sprang er auf einen niedrigen Felsbrocken und warf sich in die Luft, wodurch er die unterschiedliche Körpergröße zwischen sich und Castino ausglich. Rasend schnell zischte seine Klinge, und ehe ich auch nur wusste, was geschah, sah ich sein Schwert waagerecht im Baumstamm hinter Castinos Hals stecken.
Castino stand mit offenem Mund und großen Augen da. Einen Augenblick
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