Der Tempel
Augenblick gefror mir jede einzelne Unze Blut in den Adern.
Ich blickte auf Hernando Pizarro.
***
Etwa zwanzig Soldaten ergossen sich aus dem Laubwerk hinter Lena und verteilten sich über die Lichtung. Sie hatten die Musketen gehoben und auf unsere Gesichter gerichtet. Der Schein ihrer Fackeln erhellte die gesamte Umgebung.
Begleitet waren sie von drei olivhäutigen Eingeborenen, aus deren Wangen lange, scharfe, spitze Knochen hervorstachen. Chancas. Die Chanca-Fährtenleser, die Hernando angeheuert hatte, um uns bis Vilcafor auf der Spur zu bleiben.
Als Letzter – nein, als Bedrohlichster – kam ein weiterer olivhäutiger Mann. Er war größer als die anderen und sein langer, verfilzter schwarzer Haarschopf reichte ihm bis auf die Schultern. Auch ihm ragte ein spitzer Knochen aus der linken Wange.
Es war Castino. Das Scheusal Castino, der ganz zu Beginn unseres Abenteuers zusammen mit Renco in der Gefängnishulk gesteckt und seine Worte mitgehört hatte, dass das Götzenbild in der Coricancha von Cusco war.
Die Konquistadoren und die Chancas bildeten einen weiten Kreis um Renco, mich und die sieben Inkakrieger.
Da erst fiel mir auf, wie dreckig sie aussahen. Bis auf den letzten Mann waren die Konquistadoren von Schmutz bedeckt und wirkten abgerissen und über alle Maßen erschöpft.
Da begriff ich – das war alles, was von Hernandos hundert Mann starker Legion übrig war. Auf ihrem Marsch durch die Berge und Wälder waren seine Männer einer nach dem anderen gestorben. An Krankheit, Hunger oder einfach an Erschöpfung.
Mehr waren ihm nicht geblieben. Zwanzig Männer.
Hernando trat vor und riss Lena hoch. Er zog sie hinter sich her, während er zum Tempel ging. Dann baute er sich vor Renco auf und sah gebieterisch auf ihn herab. Er war einen vollen Kopf größer als der Prinz und doppelt so breit. Grob stieß er Lena in Rencos Arme.
Von Furcht erfüllt, warf ich einen Blick auf das Portal des Tempels.
Es stand noch immer teilweise offen. Der Spalt zwischen dem Felsbrocken und der großen steinernen Türschwelle war bestimmt breit genug, dass ein Rapa hindurchgepasst hätte.
Das war gar nicht gut.
Wenn das Wasser auf dem Götzenbild trocknete, würde es nicht mehr singen, und dann wäre der Bann, der über den Rapas lag, gebrochen, und …
» Endlich begegnen wir uns«, sagte Hernando auf Spanisch zu Renco. »Viel zu lange konntest du vor mir fliehen, mein junger Prinz. Du wirst langsam sterben.«
Renco sprach kein Wort.
»Und du, Mönch«, sagte Hernando, sich an mich wendend. »Du bist ein Verräter an deinem Land und an deinem Gott. Du wirst sogar noch langsamer sterben.«
Ich schluckte meine Furcht hinunter.
Hernando wandte sich wieder an Renco. »Das Götzenbild. Gib es mir!«
Renco zuckte nicht mit der Wimper. Er griff langsam in den Beutel an seinem Gürtel und zog das falsche Götzenbild hervor.
Bei dessen Anblick bekam Hernando glänzende Augen. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, so hätte ich geschworen, dass er zu sabbern begann.
»Gib es mir!«, befahl er.
Renco trat vor.
»Auf den Knien!«
Langsam und trotz der Demütigung, die damit einherging, kniete Renco nieder und bot dem stehenden Hernando das Götzenbild dar.
Hernando nahm es ihm ab. Mit schimmernden Augen voller Habgier starrte er seine Beute an, nach der er so lange gesucht hatte.
Nach einigen Augenblicken schaute er auf und wandte sich an einen seiner Männer.
» Sargento« , sagte er.
»Ja, Herr?«, entgegnete der Sargento neben ihm.
»Exekutiere sie.«
Mir wurden die Hände mit einem langen Seil gebunden, ebenso wie Renco. Zwei spanische Soldaten rissen ihm Lena aus den Armen und bedachten sie mit üblen Bemerkungen, was sie mit ihr täten, sobald Renco und ich tot wären – Äußerungen, die ich mich hier und jetzt nicht zu wiederholen getraue.
Der spanische Sargento stand mit gezogenem Säbel neben mir.
»Da, Chanca«, sagte Hernando und warf Castino ein Schwert zu. Seit seiner Ankunft auf der Lichtung hatte der schändliche Chanca Renco mit reinem, unverfälschtem Hass beäugt. »Du darfst den Prinzen ins Jenseits befördern.«
»Gerne«, erwiderte Castino auf Spanisch, fing das Schwert auf und marschierte rasch zu dem Altarstein hinüber.
»Schneidet ihnen zuerst die Hände ab«, befahl Hernando wohl überlegt. »Ich möchte sie gern vor ihrem Tod kreischen hören.«
Unsere beiden Henker nickten. Zwei weitere Konquistadoren zerrten Renco und mich in eine entsprechende Stellung – sie
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