Der Tempel
brach herein, und Renco und ich zogen uns auf das Dach der Zitadelle zurück, um den Ort zu bewachen und nach diesem Tier Ausschau zu halten, das sie den Rapa nannten.
Bassario entfernte sich, wenig überraschend, zu einer schattigen Ecke der großen steinernen Festung und setzte sich mit dem Rücken zum Raum hin. Dort tat er, was immer er tun mochte.
Ich sah über das Dorf.
Nun, ich muss sagen, dass ich mich während unserer Jagd durch die Wälder allmählich an die Geräusche des nächtlichen Dschungels gewöhnt hatte. Das Quaken der Frösche, das Summen der Insekten, das Rascheln in den hoch liegenden Ästen, wenn Affen darin umherhuschten.
Doch so etwas gab es hier nicht.
Im Wald, der Vilcafor umgab, herrschte völlige Stille.
Kein Tier verursachte einen Laut. Nichts Lebendiges rührte sich.
Ich sah auf die Leichen hinab, die über die Hauptstraße verstreut lagen.
»Was ist hier geschehen?«, wollte ich leise von Renco wissen.
Zunächst gab er keine Antwort. Dann meinte er schließlich: »Ein großes Übel ist von der Leine gelassen worden, mein Freund. Ein großes Übel.«
»Was hat dein Onkel damit gemeint, dass der Tempel, den sie gefunden haben, vielleicht der ›Tempel von Solon‹ sei? Wer oder was ist Solon?«
»Tausende von Jahren«, erwiderte Renco, »gab es in diesen Landen viele große Reiche. Wir wissen nicht viel darüber, außer was wir von den Bauten erfahren, die sie hinterlassen haben, und von den Geschichten, die unter den hiesigen Stämmen weitergereicht wurden.
Eine weit verbreitete Erzählung handelt von einem merkwürdigen Reich, dessen Einwohner sich Moxe oder Moche nannten. Die Moche waren produktive Baumeister und den hiesigen Eingeborenen zufolge verehrten sie den Rapa. Manche sagen, sie hätten den Rapa sogar gezähmt, aber das ist umstritten.
Wie dem auch sei, in der beliebtesten Fabel geht es um einen Mann namens Solon. Der Legende zufolge war Solon von bemerkenswertem Verstand, ein großer Denker, und als solcher wurde er oberster Ratgeber des höchsten Herrschers der Moche.
Als Solon alt wurde, beschenkte ihn der Herrscher als Belohnung für seine Jahre der treuen Dienste mit sagenhaften Reichtümern und vermachte ihm einen Tempel, der zu seinen Ehren errichtet werden sollte. Der Herrscher sagte, dass Solon den Tempel an jeder von ihm gewünschten Stelle erbauen lassen könne und in jeder Gestalt. Gleich, was er wünsche, die besten Baumeister des Herrschers würden es bauen.«
Renco starrte in die Dunkelheit hinaus.
»Es heißt, Solon verlangte, sein Tempel solle an einem geheimen Ort erbaut und seine gesamten Reichtümer dort untergebracht werden. Daraufhin wies er die fähigsten Jäger des Herrschers an, ein Rudel Rapas zu fangen und es zusammen mit seinen Schätzen in den Tempel zu bringen.«
» Er brachte ein Rudel Rapas in den Tempel?«, fragte ich ungläubig.
»Genau«, erwiderte Renco. »Doch um zu verstehen, warum er das tat, musst du verstehen, was Solon erreichen wollte. Sein Tempel sollte die äußerste Prüfung der menschlichen Verführbarkeit darstellen.«
»Was meinst du damit?«
»Solon wusste, dass das Gerücht von den gewaltigen Schätzen in seinem Tempel rasch die Runde machen würde. Gier und Verlangen würden Abenteurer dazu treiben, den Tempel zu suchen und die Schätze darin zu plündern.
Also hat er seinen Tempel zu einem Prüfstein für die Wahl zwischen sagenhaftem Reichtum und sicherem Tod gemacht. Man würde genau erkennen können, ob der Mensch seine zügellose Habgier bezwingen konnte oder nicht.«
Renco sah mich an. »Der Mann, der seine Habgier überwindet und den Tempel nicht öffnet, lebt. Der Mann, der der Versuchung unterliegt und den Tempel auf der Suche nach dem sagenhaften Reichtum öffnet, wird den Tod durch die Rapas erleiden.«
Ich hörte schweigend zu.
»Der Tempel, von dem Vilcafor gesprochen hat«, sagte ich dann, »derjenige auf dem riesigen Felsenfinger … Hältst du ihn für Solons Tempel?«
Renco seufzte. »Wenn er es ist, macht mich das traurig.«
» Warum?«
»Weil es bedeutet, dass wir einen weiten Weg gekommen sind, nur um zu sterben.«
Lange Zeit blieb ich mit Renco auf dem Dach der Zitadelle und starrte in den Regen hinaus.
Eine Stunde verstrich.
Nichts kam aus dem Wald.
Eine weitere Stunde. Noch immer nichts.
Da wies Renco mich an, in die Zitadelle zurückzukehren und mich schlafen zu legen. Erleichtert gehorchte ich seinem Befehl, so erschöpft war ich von unserer langen Reise.
Ich zog mich
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