Der Tempelmord
sollten ihr helfen, ihren Geist für die Kraft der Magie zu öffnen.
»Dein rechtes Auge ist die Nachtbarke,
dein linkes Auge ist die Tagesbarke,
und deine Augenbrauen sind die Götterneunheit.
Dein Scheitel ist Anubis,
dein Hinterkopf ist Horus,
deine Finger sind Thot,
deine Haarlocke ist ...«
Die Tür zur Kammer der Toten wurde aufgestoßen. Wütend drehte Samu sich um. Es war Potheinos, der die Zeremonie störte. Schon lag der Priesterin ein Fluch auf der Zunge, als hinter dem Eunuchen noch ein zweiter Mann eintrat: Orestes, der Eirenarkes von Ephesos.
Potheinos schien zu ahnen, was sie dachte. Jedenfalls sah sie ihn rasch ein Schutzzeichen schlagen. »Verzeih, wenn wir dich stören, Dienerin der Zauberreichen«, murmelte der Eunuch verlegen. »Der Eirenarkes wünscht die Tote zu betrachten.«
»Auch wenn Thais dir keinen Dienst erweisen konnte, Verschnittener, solltest du ihr doch die Ehre erweisen, sie bei ihrem Namen zu nennen.«
Potheinos funkelte Samu böse an. Dann trat er zur Seite, um Orestes an die Kline zu lassen. »Auf welche Weise, glaubst du, ist . Thais gestorben?«
Zu gerne hätte Samu dem Eirenarkes die Wahrheit gesagt, doch galt es jetzt, an Kleopatra und die Zukunft der Prinzessin zu denken. Würde sie die Wahrheit sagen, mochten allein die Götter wissen, was aus der Kleinen werden würde. »Wie unschwer zu sehen ist, hat sie sich dicht über der Handwurzel die Arme aufgeschnitten. Sie ist verblutet. Eine Sklavin hat sie so heute morgen gefunden.«
Orestes beugte sich vor, um die Verletzungen in Augenschein zu nehmen. In dieser seltsamen Stellung erinnerte er die Priesterin an einen Jagdhund, der Witterung aufnahm.
»Hat man Thais auf dieser Kline gefunden?«
»So ist es«, antwortete Potheinos eifrig. »Wie die Priesterin sagte, hat eine Sklavin Thais heute morgen entdeckt.«
»Merkwürdig. Ich sehe hier gar kein Blut. Man sollte doch denken, daß man eine Frau, die sich auf diese Weise das Leben nimmt, inmitten einer Blutlache finden würde.«
»Ich habe die blutbesudelten Tücher entfernen und verbrennen lassen«, entgegnete Samu. »Sie war eine große Dame bei Hof und hat Anspruch auf ein würdiges Totenlager.«
»Eine große Dame ...« Orestes tauschte mit Potheinos einen kurzen Blick. »Vielleicht kann man das wirklich so nennen. Aber warum sollte sich eine große Dame das Leben nehmen?«
Dieser Grieche wollte ihr eine Falle stellen, dessen war sich Samu mittlerweile sicher. Aber so leicht würde sie es ihm nicht machen. »Es hat in der letzten Nacht einen Streit zwischen Thais und dem Neuen Osiris gegeben und .«
»Neuer Osiris?« Der Eirenarkes runzelte die Stirn.
»Das ist der Name unseres göttlichen Pharaos«, mischte sich Potheinos ein. »Er ist nicht allein ein Herrscher, er ist auch ein Gott.«
»So.« Dem Griechen genügte dies eine Wort, um deutlich zu machen, was er von Gottkönigen hielt. »Und weswegen wurde gestritten? Ich hoffe, meine Frage ist nicht zu vermessen. Doch soll ich der Hohepriesterin Bericht über diesen Todesfall erstatten und auch dem Rat der Stadt. Es ist also keine Neugier, sondern allein meine Pflicht, die mich zwingt, so taktlos zu fragen.«
Samu glaubte dem Eirenarkes kein Wort. So wie er aussah, machte es ihm Freude, seine übergroße Nase in die Angelegenheiten anderer zu stecken. »Soweit ich weiß, ging es darum, daß der Neue Osiris dachte, die Dienste von Thais in Zukunft nicht mehr in Anspruch zu nehmen. Dieser plötzliche Stimmungswandel des Pharaos hat sie so erschreckt, daß sie die Sinne verlor. Gemeinsam mit dem griechischen Arzt Philippos habe ich sie aus den Gemächern des Neuen Osiris hierher gebracht. Als sie erwachte, scheint sie sich dann das Leben genommen zu haben.«
»Und mit diesen Zauberzeichen hast du sie danach bemalt, Priesterin?« Orestes zeigte auf die nachgezeichneten Amulette auf der Brust der Toten. »Was haben sie zu bedeuten?«
Samu zeigte auf ein längliches Symbol, das ein wenig an den Stößel erinnerte, der zu einem Mörser gehört. »Das hier ist der Djed-Pfeiler. Für gewöhnlich wird er aus Gold gefertigt. Er schützt das Rückgrat der Verstorbenen, so wie das Tet, der Isis-Knoten dort zwischen den Brüsten, das Blut und die Zauberkraft von Thais erhalten wird, und .«
»Wie kann das Blut erhalten werden, wenn sie sich die Adern an den Handgelenken aufgeschnitten hat?« Orestes grinste triumphierend und tauschte mit Potheinos einen kurzen Blick.
»Webe nur deinen Zauber,
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