Der Tempelmord
weiß, was zwischen euch geschehen ist. Und versuche nicht, mich auf so billige Art hereinzulegen.«
»Verzeih mir, Samu, ich wollte dich nicht täuschen!« Die Prinzessin drehte sich jetzt ganz auf ihrem Stuhl herum und blickte betreten zu Boden. »Ich dachte nur ... Es war dumm von mir! Bitte, verzeih mir.«
»Wenn du die Güte hättest, jetzt herüberzukommen und dir dein sinnloses Geschreibsel anzusehen, dann würde ich vielleicht darüber nachdenken, unser gemeinsames Geheimnis für mich zu behalten. Anderenfalls könnte es deinen Tetrarchen den Kopf kosten, wenn herauskommt, daß er einer Prinzessin nachstellt.«
»Aber es ist doch nichts Schlimmes passiert!«
»Erzähl mir nichts, Kleine! Ich hab von meinem Versteck aus alles genau beobachten können. Sei gewiß, daß das, was du nichts Schlimmes nennst, ausreichen würde, um den Kerl vierteilen zu lassen!«
»Das ist nicht gerecht, Samu. So etwas würdest du nicht tun. Er hat meine Brüste geküßt ... gut, aber mehr ist nicht gewesen! Ich war bei einigen der Orgien meines Vaters zugegen. Ich weiß, was sonst noch hätte sein können . Eskander hat sich wie ein Ehrenmann verhalten.«
»Könnte es sein, daß wir unterschiedliche Vorstellungen von einem Ehrenmann haben? Aber reden wir nicht weiter darüber. Drohe mir nie mehr damit, daß du vor deinem Vater schlecht von mir sprechen wirst. Dann werde auch ich mein Wissen für mich behalten. Und jetzt sieh dir diesen Text an! Was soll das?« Die Priesterin hielt Kleopatra die beiden Wachstafeln hin, auf der die Prinzessin den Zauberspruch niedergeschrieben hatte.
Kleopatra warf einen kurzen Blick darauf und zuckte dann mit den Achseln. »Was soll daran nicht in Ordnung sein? Ich finde, das Schriftbild sieht sogar besonders schön aus. Stell dir vor, wie es auf eine Tempelwand aufgemalt wirken würde. Ich bin sehr zufrieden damit. Ich weiß gar nicht, was du hast.«
»Zum einen halte ich es nicht gerade für taktvoll, den Namen deiner Schwester Berenike in einer Formel einzufügen, die über ein Amulett gesprochen werden soll, das einen Toten auf seiner Reise zu Osiris schützt. Es steht völlig außer Frage, daß sie deinen Vater zu Unrecht vom Thron vertrieben hat und daß sie eine grausame Tyrannin ist . Trotzdem solltest du wissen, daß man mit der Zauberei niemals seinen Spaß treiben darf. Solche Leichtfertigkeiten fallen nur auf einen selbst zurück. Um so schlimmer sind deshalb die merkwürdig verdrehten Worte, die du in der zweiten Hälfte der Zauberformel verwendest. Um den ursprünglichen Wortlaut überhaupt noch erraten zu können, muß einem der Text schon vorher geläufig sein. Was soll das?«
Die Prinzessin hatte einen Schmollmund aufgesetzt. »Wie kannst du mir vorwerfen, wenn ich tue, was du mir selbst einmal geraten hast? Du warst es doch, die mir erklärt hat, wie wichtig es ist, bei der alten Bilderschrift des Tempels die Zeichen stimmig zueinander zu setzen. Nicht allein das Wort zählt, sondern auch, wie es geschrieben ist. Ja, du hast mir sogar gesagt, daß man die Grammatik und auch die übliche Schreibform vernachlässigen darf, wenn man dafür erreicht, daß das Schriftbild in seiner Gesamtheit schöner aussieht.«
»Aber das gilt doch nicht für eine Zauberformel! Es sind die Worte, denen die Kraft innewohnt. Schon sie falsch zu betonen, kann ein Ritual scheitern lassen. Sei gewarnt, wann immer du einen Zauberspruch wirkst, öffnest du dich auch ein Stück weit Kräften, die dir übel gesinnt sind. Sie stellen einen Teil der Macht dar, die du bei diesem Ritual in das Tet-Amulett leitest. Die Worte der Beschwörung sind uralt und genau festgelegt. Schon eine leichte Abweichung von ihnen kann dein Verderben bedeuten.«
»Das habe ich nicht gewußt . «, stammelte Kleopatra ängstlich.
»Ich hoffe, du hast die Worte nicht leise vor dich hingesprochen, während du sie niedergeschrieben hast.«
Die Prinzessin schüttelte energisch den Kopf. »Ich habe nichts dergleichen getan. Glaubst du, daß mir etwas passieren wird ... Ich meine, es war doch nur eine Übung. Ich hatte nicht einmal ein Amulett und .«
»Und du hättest nicht den Namen deiner Schwester Berenike verwenden sollen. Du weißt, daß sie auf die Macht des grausamen Seth vertrauen kann und daß es viele Priester gibt, die sie als Herrscherin unterstützen, weil sie sich nicht so bedingungslos den Römern unterwirft, wie es dein Vater getan hat. Viele hoffen, daß sie Ägypten noch einmal zu seinem alten Glanz führen
Weitere Kostenlose Bücher