Der Tempelmord
eine schwere goldene Kette. Sein Gewand bedeckte seine Arme nicht, so daß man erkennen konnte, wie erstaunlich muskulös er für einen Priester war. Wahrscheinlich stand er dem wettergegerbten Oiagros kaum an Kraft nach.
»Nun, da mir keiner widerspricht, gehe ich davon aus, daß es keine Einwände gegen meinen Vorschlag gibt.« Azemilkos lächelte, was seinem Gesicht eine erstaunliche Ähnlichkeit mit einem grinsenden Totenschädel verlieh. »Würdest du mir die Ehre erweisen, mir deine rechte Hand zu reichen, Priesterin?«
Samu blickte verblüfft zu Elagabal, doch dieser schien genauso verwundert zu sein wie sie. Mit einem unguten Gefühl folgte sie der Aufforderung des Hohepriesters. Wie die Kralle eines Raubvogels schnappte seine Hand nach ihr. Azemilkos hatte lange, gelbe Fingernägel. Mit ihnen strich er Samu über den Handrücken.
»Wende deine Hand bitte, so daß ihre Innenfläche zur Decke weist, sonst kann ich nicht in ihr lesen.«
Stumm gehorchte Samu. Sie hatte das Gefühl, als krieche ihr eine große Spinne über die Hand, als Azemilkos über ihre Finger tastete.
Der Hohepriester lachte leise. »Hast du Angst vor mir, Priesterin? Deine Hand ist ganz feucht.«
»Sollte ich das?« Samu starrte in seine vernarbten Augenhöhlen und betete stumm zu Isis, daß die Zauberreiche sie vor der Macht des Hohepriesters schützen möge.
»Die Göttin ist stark in dir, Samu. Da ist ein Schatten, den das Licht des Melkart nicht zu durchdringen vermag.
Ich sehe eine Frau in einem weißen Gewand und einen Mann, der einen Kopf wie ein Schakal hat. Sie beide ringen um dich, Samu! Ein...«
Mit einem Aufschrei riß Azemilkos seine Hand zurück.
»Was ist geschehen?« Elagabal war aufgesprungen und kniete neben der Kline des Hohepriesters. Die anderen in der Runde starrten mit schreckensweiten Augen auf Samu.
Auch die Priesterin konnte sich nicht erklären, was der alte Mann hatte. Sie hatte weder etwas Ungewöhnliches gespürt noch einen Schutzzauber gegen ihn gewirkt. Spielte er womöglich nur mit ihr? Sein Atem ging keuchend, doch das konnte vorgetäuscht sein. Sie sollte vor ihm auf der Hut sein!
»Laß mich in Frieden, Elagabal. Mir fehlt nichts!« krächzte Azemilkos wütend, dann wandte er sich Samu zu. »Sag mir, woher kommst du, Priesterin!«
»Aus Ägypten. Ich bin Priesterin im Tempel von .«
»Wie sahen die Ohren des hundeköpfigen Mannes aus?« unterbrach sie Archelaos. »Welche Form hatten sie?«
»Was fällt dir ein, ihr ins Wort zu fallen«, giftete Azemilkos ihn an. »Wozu ist das überhaupt von Bedeutung?«
»Sag mir, wie die Ohren aussahen, und ich sage dir, was es damit für eine Bewandtnis hat, alter Mann«, entgegnete der Priesterfürst arrogant.
Azemilkos runzelte die Stirn. Eine dicke Ader schwoll an seiner Schläfe an. »Seine Ohren waren in der Tat ungewöhnlich. Sie waren nicht spitz, sondern eckig, so als hätte man sie abgeschnitten. Ich hoffe für dich, daß du jetzt eine Geschichte zu erzählen hast, die mich deine hochfahrende Rede vergessen läßt.«
Archelaos lächelte triumphierend. »Hätte der Gott, von dem du sprachst, spitze Ohren gehabt, so wäre es Anubis gewesen. Er hat den Kopf eines Schakals und geleitet die Toten hinab in das Reich des Osiris. Die seltsamen Ohren aber, die du beschrieben hast, gehören zu Seth, dem Gott der Zerstörung, dem Wächter in der Barke der Millionen Jahre und dem Mörder des Osiris. Seth ist der Schutzherr Berenikes. Wenn du ihn in deiner Vision gesehen hast, dann erübrigen sich alle anderen Fragen an die Priesterin, Azemilkos. Sie steht auf seiten der neuen Herrscherin, und wir können ihr trauen.«
Verwundert blickte Samu zu dem jungen Priesterfürsten. »Du kennst dich erstaunlich gut mit den Göttern meines Landes aus.«
Archelaos setzte ein überhebliches Lächeln auf. »Sagen wir, ich habe vor einiger Zeit meine Leidenschaft für Ägypten entdeckt und.«
»Was hältst du eigentlich von den Römern, Priesterin?« Iubal, der schmächtige Kaufmann an der Seite des Priesterfürsten, war Archelaos unvermittelt ins Wort gefallen, so als wolle er ihn daran hindern, weiterzureden.
»Bei Hof betrachtet man die Entwicklung in Rom mit großer Sorge. Wie ihr vielleicht wißt, hat die Königin Berenike vor einigen Monaten eine große Gesandtschaft nach Italien geschickt, um vor dem Senat ihr Anrecht auf den Thron zu rechtfertigen. Doch die Römer haben geduldet, daß man die Gesandten ermordete. Man sagt, daß Pompeius und der geflohene
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