Der Tempelmord
meine ganze Kunstfertigkeit in den Dienst des Schiffers stellen.«
»Ich habe nichts anderes von dir erwartet, Philippos. Möge Eshmun seine Kraft in deine geschickten Hände legen.« Der Priester verneigte sich und verließ dann den Tempelhof.
Besorgt blickte Philippos ihm nach. Ein falsches Wort des Priesters, und keiner würde die Geschichte über seine Vergangenheit als Söldner mehr glauben. Aber hätte er zulassen sollen, daß die Priester Abimilku den Arm amputierten? Er war Heilkundiger und hatte einmal geschworen, sein Wissen immer zum Besten der Menschen einzusetzen und Leid zu mildern, wo es in seiner Macht stand. Abimilku war noch ein junger Mann. Philippos hatte einfach nicht zulassen können, daß ein paar übereifrige Priester ihn zum Krüppel machten.
Falls sich üble Säfte in der Wunde bildeten, konnte man den Arm immer noch amputieren. Doch seiner Meinung nach waren die Aussichten gut, daß dem Kapitän dieses Schicksal erspart bleiben würde.
Mit einem Seufzer erhob sich der Grieche. Wenn er sich durch seine Hilfe verraten hatte, dann war es der Wille der Götter! Die Unsterblichen hatten ihn in diese schwierige Lage gebracht! Warum nur konnte sein Leben niemals einfach sein? Er dachte an Neaira. Wie es ihr wohl ergangen war? Ob sie jetzt Hunger und Not litt? Philippos hatte ein Gefühl, als wolle eine unsichtbare Faust ihm den Hals zudrücken. Er wünschte, er wäre jetzt an ihrer Seite. Alles Gold des Pharaos würde er dafür geben! Voll hilfloser Wut ballte er die Fäuste. Er sollte besser in das Haus des Kapitäns gehen. Jetzt würden ihm die Fischer freundlich gesonnen sein! Es würde kein Problem sein, sie über die Purpurhändler auszuhorchen. Wenn er Abimilkus Arm rettete, dann würden sie ihn als einen der ihren aufnehmen. Und er, er würde sie hintergehen und benutzen, grübelte Philippos. Doch das war ihm gleichgültig! Alles, was zählte, war so schnell wie möglich den Giftmörder zu finden und dann nach Ephesos zurückzukehren. Wenn nicht zu viel Zeit bis zu seiner Rückkehr verging, dann mochte es ihm vielleicht gelingen, herauszufinden, wohin Neaira gegangen war, nachdem man sie aus der Stadt vertrieben hatte. Sie war ihm wichtiger als ein Posten als Hofarzt! Warum hatte er das nicht schon vor zwei Wochen begreifen können? Dann wäre alles ganz anders gekommen!
Als Philippos durch das Tempelportal trat, wurde er bereits vom bärtigen Taucher erwartet. Der große Mann lachte ihn an und schloß ihn übermütig in die Arme. »Du hast meinem Schwager das Leben gerettet. Ich weiß, daß er sich umgebracht hätte, wenn sie ihm den Arm abgeschnitten hätten. Man sagt, daß die Priester es nur deinetwegen nicht getan haben, Grieche.«
»Gerede.« Philippos befreite sich aus der Umklammerung des Hünen und winkte müde ab. »Wäre der Priester Chelbes nicht im Grunde derselben Meinung gewesen wie ich, dann hätte ich einen ganzen Tag reden können, ohne daß es etwas genutzt hätte.«
»Du hast sogar den Hohepriester des Eshmun überzeugen können?« Der Taucher pfiff durch die Zähne und schlug dem Griechen auf die Schulter. »Bei Melkart, du tauchst zwar so schlecht wie eine alte Katze, aber die Götter scheinen dir eine goldene Zunge geschenkt zu haben, wenn du sogar Chelbes überzeugen konntest.«
»Ich habe mit keinem Hohepriester gesprochen«, entgegnete der Arzt ärgerlich. »Chelbes hat nicht anders ausgesehen als die anderen Priester auch.«
»Du kannst mir erzählen, was du willst, Grieche! Sei doch nicht so bescheiden! Es gibt nur einen Priester im Tempel des Eshmun, der Chelbes heißt, und das ist der Hohepriester.« Philippos schluckte. Das durfte nicht wahr sein! Warum zum Zeus hatte er ausgerechnet an den Hohepriester des Tempels geraten müssen? Als Vorsteher des Tempels mußte Chelbes zu den einflußreichsten Männern in der Stadt zählen. Vielleicht gehörte er am Ende gar zu den Verschwörern, die Ptolemaios das Gift geschickt hatten. Als Hohepriester des Gottes der Heilkunst kannte er sich vermutlich besser als jeder andere Tyrener in Giften aus. Wer immer sich mit der Heilkunde befaßte, der lernte auch von den verderblichen Kräften der Pflanzen und Mineralien. Wenn Chelbes seinem Gott wirklich so treu ergeben war, wie es den Anschein hatte, würde er sich dann dazu hinreißen lassen, auf so heimtückische Weise ein Leben zu zerstören? Philippos wußte nichts über den Kult des Eshmun, doch konnte er sich nicht vorstellen, daß ein Gott der Heilkunde einen
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