Der Tempelmord
ein. »Er hurt und säuft wie ein gemeiner Soldat. Seine Krieger betrachten ihn als einen der ihren und nicht als irgendein Patriziersöhnchen, das eine Weile Soldat spielen muß, um in seiner politischen Karriere weiterzukommen.«
»Was hat das für uns für eine Bedeutung?« schnaubte Archelaos verächtlich. »Ein Soldat ist so gut wie der andere.«
»Ich glaube, du hast die Lage nicht ganz begriffen, mein junger Freund.« Azemilkos hatte sich ein wenig aufgerichtet und wandte sich zu dem Priesterfürsten. »Mit einem anderen Mann hätte man vielleicht reden können, oder es wäre möglich gewesen, ihn einzuschüchtern. Bei Marcus Antonius wird das nichts nutzen. Er wird kommen und seinen Befehl ausführen. Nichts wird ihn daran hindern, die Grundsteinlegung zu dem Aquaeduct vorzunehmen, notfalls wird er seinen Auftrag mit Waffengewalt durchführen.«
»Wir sind weit gekommen, wenn wir nicht einmal mehr selbst darüber bestimmen können, ob wir ein Aquaeduct in unserer Stadt haben wollen.«
»Das liegt daran, daß den Römern der rechte Glaube an die Götter fehlt«, ereiferte sich der Blinde. »Sie lassen uns unsere Tempel und unsere Götter, sie geben sich großzügig, doch im Zweifelsfall tun sie das, was sie für richtig halten und ignorieren unsere Wünsche!«
»Und wenn ihr diesem Römer den Zugang zu eurer Stadt verwehrt«, fragte Archelaos. »Tyros ist doch eine fast uneinnehmbare Festung.«
»Die leider von einer römischen Garnison besetzt ist. Außerdem haben wir keine Soldaten. Nur mit ein paar aufgebrachten Bürgern werden wir keine römischen Legionäre vertreiben«, entgegnete Elagabal nüchtern. »Machen wir uns nichts vor, meine Freunde, wir allein werden uns der Römer nicht erwehren können.« Der Kaufmann wandte sich an Samu. »Du mußt wissen, daß es eine Prophezeiung gibt, daß Melkart unsere Stadt verlassen wird und von Tyros nichts bleibt als ein Felsen voller Ruinen, wenn eines Tages sprudelndes Quellwasser auf der Insel entspringt. Genau das werden uns die Römer antun, wenn sie ihr Aquaeduct bauen. Zweimal haben wir Gesandtschaften zu Aulus Gabinius geschickt, doch der Proconsul war so sehr mit seinen Kriegen beschäftigt, daß er die Gesandten nicht einmal empfangen hat. Aber genug jetzt von der Politik. Erzähle uns vom Hof der Berenike. Wir alle sind gespannt darauf, Neuigkeiten aus Ägypten zu hören.«
»Aber ich sagte doch schon, daß ich nicht mehr zum Hofstaat gehöre. Vor zwei Jahren noch war ich die Lehrerin der Prinzessinnen Arsinoe und Kleopatra. Doch zur Zeit der Nilschwemme, noch vor der Flucht des Ptolemaios, bin ich in meinen Tempel zurückgekehrt. Seitdem höre auch ich nur noch Gerüchte über das, was bei Hof geschieht.«
»Nur Gerüchte ...«
Die Männer auf den Klinen blickten einander an, und Samu spürte ihr Herz wie rasend schlagen. Was hatten sie von ihr erwartet? Dachten sie etwa, sie sei eine Gesandte Berenikes? Oder hielten sie sie jetzt sogar tatsächlich für das, was sie war? Ein Spitzel in Diensten des Ptolemaios!
»Was führt dich denn in unsere Stadt, Priesterin? Du bist doch sicher nicht allein gekommen, um dir im Hafen Purpurschnecken anzusehen.« Der schlacksige Iubal hatte ihr diese Frage gestellt. Sein spitzes Gesicht erinnerte Samu jetzt ein wenig an eine Ratte.
»Ich bin im Dienste meines Tempels hier. Isis hat meiner Hohepriesterin eine Vision geschickt. Sie sah ein weißes Schiff in euren Hafen fahren, an dessen Bug eine Frauengestalt aus Licht stand. Die Hohepriesterin war nicht sicher, ob die Göttin selbst auf dem Schiff stand oder eine Herrscherin, die unter dem Schutz der Zauberreichen steht. Wegen dieser Vision wurde ich beauftragt, in den Hafen eurer Stadt zu kommen und auf ein weißes Schiff zu warten.« Samu hoffte, daß die Männer ihr die Geschichte glaubten und daß Isis ihr diese Lüge nachsah.
»Ein weißes Schiff, an dessen Bug eine Frauengestalt aus Licht steht!« Azemilkos wiederholte nachdenklich ihre Worte. »Was für eine verheißungsvolle Vision! Vielleicht ist ihr Ashtoreth, die Königin des Himmels, erschienen?«
»Ich fürchte, dieses Rätsel wird nur die Zeit lösen, mein werter Freund. Laßt uns jetzt die Politik und die Omen vergessen. Wir sind gekommen, ein Fest zu feiern.« Elagabal klatschte laut in die Hände. »Musikantinnen, kommt näher zu uns und spielt uns auf. Schickt auch die Tänzerinnen herein und laßt den gebratenen Ochsen auftragen. Es soll in der Stadt nicht heißen, daß dieses Haus ein
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