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Der Tempelmord

Der Tempelmord

Titel: Der Tempelmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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KAPITEL

     
    S amu erwachte von einem Geräusch, das wie ein vielstimmiger Aufschrei klang. Sie fühlte sich ungewöhnlich benommen. Ihr Kopf war schwer, und als sie versuchte, aufzustehen, war es fast so, als drücke sie eine weiche, riesige Hand auf ihre Kline nieder. So stark war dieser Widerstand, daß es ihr beim ersten Versuch unmöglich war, sich zu erheben. Sie hatte nicht die Kraft, ihren Willen in Taten umzusetzen.
    Langsam begannen ihre Gedanken, klarer zu werden. Im weitläufigen Haus des Kaufmanns konnte sie jetzt deutlich das Murmeln vieler Stimmen wahrnehmen. Der ganze Palast schien voller Menschen zu sein!
    Der bittere Geschmack von Kräutern füllte ihren Mund. Auf ihrer Zunge war ein widerlicher, pelziger Belag. Sie mußte trinken! Ihre Augen tasteten durch den Raum. Selbst den Kopf zu drehen, war eine Anstrengung, die beinahe über die Grenzen ihrer Willenskraft hinausging. Sie hatte auf dem Schminktisch eine kleine Öllampe brennen lassen. In letzter Zeit konnte sie nicht mehr in völliger Finsternis schlafen. Zu oft hatte sie ihr Lager seit der Flucht des Pharaos aus Alexandria gewechselt. Manchmal wachte sie nachts auf und konnte sich nicht mehr erinnern, wo sie war. Selbst wenn das Licht brannte, brauchte sie ein oder zwei Atemzüge lang, um sich bewußt zu werden, an welchem Ort sie sich aufhielt und wie sie dorthin gelangt war.
    Auf dem Schminktisch standen ein kleiner Krug voller Quellwasser und eine flache Schale. Sie sollte trinken, um den üblen Geschmack loszuwerden. Wieder lauschte sie auf die Geräusche im Haus. Elagabal hatte ihr nichts davon gesagt, daß er noch Gäste erwartete. Oder konnte sie sich nur nicht mehr erinnern?
    Samu versuchte, in Gedanken die Ereignisse des vergangenen Tages zu ordnen. Sie erschienen ihr seltsam entrückt, so als seien sie nicht erst vor ein paar Stunden, sondern vor langer Zeit geschehen.
    Da war der Schatten ... Die Amphore, die dicht neben ihr auf das Pflaster geschlagen war und sie beinahe getötet hätte.
    Und Hophra! Hophra, der mit den Lastenträgern gesprochen hatte. Hophra, der verschwunden war, als der Unfall geschah, aber fast sofort danach wieder an ihrer Seite war. War das ein Zufall?
    Sie war in einer Sänfte in den Tempel des Eshmun gebracht worden. Ein freundlicher glatzköpfiger Priester hatte sich dort ihrer angenommen. Der Mann hatte eine schwer zu beschreibende Aura gehabt. Schon im ersten Augenblick, in dem sie einander begegneten, hatte Samu gewußt, daß der Priester ein guter Heilkundiger war und daß sie ihm vertrauen konnte. Aber da war noch etwas an ihm . Er hatte Macht! Es war jedoch nicht die Welt der Magie, in der er ein Herrscher war, so wie man es bei einem Heilkundigen vielleicht erwarten mochte. Er hatte die Macht, über Menschen zu gebieten. Sie würden seinen Worten folgen, ohne daß es dazu einer äußerlichen, aufgesetzten Autorität bedurft hätte. So wie er sollten Könige sein, dachte Samu.
    Ihre Verletzungen waren kaum der Rede wert. Sie hatte eine Schnittwunde am Arm abbekommen, die zwar stark blutete, aber zum Glück nicht sehr tief war. Wahrscheinlich würde sie nicht einmal eine Narbe von ihr zurückbehalten. Ansonsten war ihr Körper übersät von Prellungen durch die Splitter der Amphore, die sie getroffen hatten. Es war fast schon ein Wunder, daß ihr nicht mehr geschehen war. Samu erinnerte sich gut an die scharfkantigen Tonscherben, die um sie herum auf dem Pflaster gelegen hatten. Mit etwas Pech, wenn ihr die Splitter ins Gesicht geschlagen wären, hätte sie ihr Leben lang entstellt sein können.
    Die Priesterin schüttelte den Kopf, die beängstigenden Gedanken zu vertreiben, und lauschte wieder auf die Geräusche in dem Haus. Es war jetzt stiller geworden. Trotzdem hatte sie das Gefühl, daß immer noch eine große Zahl von Gästen anwesend sein mußte.
    Erneut versuchte Samu, sich auf ihrem Lager aufzurichten.
    Es war ein langer Kampf, bis sie die dünne Decke zur Seite geschoben und die Beine über den Rand der Kline geschwungen hatte. Die Kälte des Steinfußbodens war etwas, vor dem sie sonst immer zurückgeschreckt war, doch jetzt wirkte sie belebend. Mit einem Seufzer stand sie auf. Ihre Beine fühlten sich wie tot an. Kaum vermochten sie das Gewicht ihres Körpers zu halten.
    Unsicher schwankend gelangte Samu zu dem Schminktisch.
    Von der Anstrengung der paar Schritte war ihr übel geworden, und sie mußte sich auf dem kleinen Lehnstuhl vor dem Tisch niederlassen. Was war nur mit ihr los?

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