Der Teufel in Frankreich
wenn man nicht die Absicht hat, uns gesundheitlich zu schädigen, warum dann sucht man sich für unsre Unterbringung eine dunkle, staubige Fabrik aus, in der es Waschwasser nur sehr wenig und trinkbares Wasser überhaupt nicht gibt? Die französischen Offiziere erwiderten auf solche Fragen: »Unsre Soldaten an der Front haben es auch nicht besser.« Man hatte wahrscheinlich wirklich nicht die Absicht, uns schlecht, uns als Feinde zu behandeln. Man wußte sehr gut, daß unter hundert von uns neunundneunzig ganz bestimmt unschuldig waren, Freunde Frankreichs, die voll Vertrauen in die französische Gastlichkeit nach Frankreich gekommen waren, herzlich begrüßt von Volk und Regierung, natürliche, geborene Alliierte in dem Kampf gegen Hitler. Wenn man uns gleichwohl so elend unterbrachte und durch Vernachlässigung der primitivsten Regeln der Hygiene unsre Gesundheit schädigte, dann geschah das aus purer Gedankenlosigkeit, aus Mangel an Organisationstalent.
Man ging in der Anwendung der Internierungsvorschrift sehr rigoros vor; die subalternen Behörden hatten offenbar Weisung, lieber zu viel Leute einzusperren als zu wenig. Man beschränkte die Internierung nicht auf Deutsche, Österreicher und Tschechen, wie es in der Verfügung hieß, es gab unter uns auch Luxemburger, Holländer, Belgier, Skandinavier. Appellieren konnte man nicht. Wer einmal ins Lager geraten war, auch wenn es sich offensichtlich um den Übergriff oder Irrtum eines Polizisten handelte, kam nicht mehr heraus.
Es war grotesk, was für Leute da zusammengetrieben wurden unter dem Vorwand, sie könnten Beziehungen zur Fünften Kolonne unterhalten haben. Es war unter uns ein Mann, von dem vier Söhne in der französischen Armee dienten, es war unter uns der Bruder eines Generalstabsoffiziers. Mehr als ein Dutzend von uns Internierten besaßen französische Auszeichnungen, Ritter der Ehrenlegion gab es mehrere. Ich selber war vom Präsidenten der Republik empfangen worden, in den Flugblättern, welche englische Flieger über Deutschland abwarfen, wurden Sätze von mir zitiert, ich hatte Bücher geschrieben, deren Hintergrund das barbarische Gewese der Nazis bildete, Bücher, die von Millionen gelesen worden waren, die Nazis hatten mich in vielen Kundgebungen als Feind Nummer eins bezeichnet. Die Internierung so vieler Leute, die sich einwandfrei als erbitterte Gegner der Nazis erwiesen hatten, war eine dumme, ärgerliche Komödie.
Paris indes, statt die Bestimmungen über die Internierung zu mildern, verschärfte sie. Jetzt wurde gar die Altersgrenze von sechsundfünfzig auf fünfundsechzig Jahre erhöht. Ein bittrer Witz behauptete, eine übergeordnete Stelle habe aus bösartigem Je-m’en-foutismus den Schreibfehler, die Ziffernverwechslung eines Schreibers sanktioniert.
In neuem, ununterbrochenem Flusse strömte es in unser Lager ein. Erdgeschoß und erstes Stockwerk wurden bis in die letzte, dunkle Ecke hinein belegt. Überall stolperte man über Ziegel, Strohlager, Menschen. Man hockte und lag aufeinander, die zerbröckelnden Ziegel waren sehr begehrt, man trieb nur mit Mühe die vier oder fünf Ziegel auf, die man benötigte, um sich etwas wie einen Sitz zu errichten.
Es waren unter den älteren Männern, die jetzt eingeliefert wurden, kultivierte Herren mit erstaunlichem Wissen. Vor allem gab es da ein paar Wiener, welche die Dinge philosophisch nahmen. Sie hatten nun einmal das Pech gehabt, in die Maschinerie der französischen Militärbürokratie hineinzugeraten; dieser Maschinerie mit Gründen der Vernunft oder der Menschlichkeit beikommen zu wollen war sinnlos. Wenn man in ein Erdbeben gerät, hat es da Zweck, den stürzenden Mauern Vernunft zu predigen? Die Herren zogen es vor, auf ihren Klappstühlchen oder ihren zerbröckelnden Ziegeln zu sitzen und gescheit über Bücher oder Musik zu sprechen oder über sonstige Schönheiten oder Annehmlichkeiten des verflossenen Lebens. Es war in ihren wohltemperierten Gesprächen über Mahler oder Schnitzler oder Gerhart Hauptmann, über die Vorzüge dieser oder jener schönen Frau oder dieses oder jenes guten Restaurants ein milder Abglanz des früheren Wien, Paris, Cannes. Da ging man mit diesen Herren in ihren verschlissenen, verdreckten Anzügen über den staubigen, grellweißen Hof, inmitten einer lärmenden Menge, immer gepufft und gestoßen, oder man saß ihnen gegenüber auf Ziegelhäufchen, sich in acht nehmend, daß einem der Stacheldraht dahinter nicht die Haut zerreiße, erinnerte
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