Der Teufel in Frankreich
Bajonett über die Ziegelmauer nachgereicht.
Um diese Zeit hatte ich eine längere Unterredung mit dem Lagerkommandanten, Hauptmann G. Ich fragte ihn, ob ich wohl Aussicht hätte, bald freigelassen zu werden. Kapitän G., ein untersetzter Herr aus Paris, war in seinem Zivilberuf Hutfabrikant. Sein Gesicht war fleischig und sehr rot, es schien mir schlau, verhängt und eigensinnig. Ich kannte ihn schon von meinem ersten Aufenthalt im Lager her als korrekt und höflich, so war er auch dieses Mal. Er sowohl wie die maßgebende Behörde, setzte er mir auseinander, wüßten genau, wer ich sei. Bestimmt würde ich bald freigelassen werden. Aber die Siebung, der Zweck unserer Internierung, könne erst beginnen, nachdem wir wirklich alle eingeliefert seien. Ich fragte ihn, ob wir da wohl noch lange zu warten hätten. Er erwiderte, darüber könne er eine bestimmte Auskunft nicht geben, er persönlich nehme an, der Termin werde schon in einigen Tagen erreicht sein.
»In einigen Tagen.« Das versicherten die Offiziere immer wieder. Niemand glaubte es recht, doch jeder klammerte sich daran. Ja, es bestand während dieser ersten beiden Wochen der Internierung unser Hauptgespräch in Erörterungen darüber, wann denn nun »le triage« beginnen werde, jene Sichtung, jene Siebung, von der man uns so viel erzählte. Wir fragten uns, nach welchen Gesichtspunkten wohl diese Siebung vorgenommen werde, wie wohl die Kommission zusammengesetzt sein werde, die sie vornehme, ob die Kommission ins Lager kommen werde, und dergleichen.
Die Kommission kam nie, die Siebung wurde nie vorgenommen, und es ist sehr die Frage, ob sie je vorgenommen worden wäre, auch wenn sich die Ereignisse dann nicht überstürzt und die Siebung unmöglich gemacht hätten.
Die offizielle Version lautete, man habe uns aus militärtechnischen Rücksichten eingesperrt. Man vermute unter uns in Mitteleuropa Geborenen Freunde der Nazis, Mitglieder der Fünften Kolonne, und man wolle nochmals strengste Siebung vornehmen. Nur die wenigsten unter uns glaubten, daß dies der wahre Grund sei. Wir Flüchtlinge aus Deutschland waren zehnmal gesiebt, wir standen seit Kriegsbeginn unter ständiger scharfer polizeilicher Überwachung, wir durften unsern Wohnort nicht verlassen. Nein, die maßgebenden Herren wußten genau, daß die Spione und Saboteure, die Freunde der Nazis, die Häupter der Fünften Kolonne, ganz woanders zu suchen waren als unter uns, daß sie sehr hoch oben saßen, mächtig und einflußreich. Uns hatte man interniert, nur um der Bevölkerung ein Schauspiel zu geben. Man wollte die Aufmerksamkeit der Bevölkerung ablenken von denjenigen, welche in Wahrheit die Schuld trugen an den Fehlschlägen und an die man nicht herankonnte.
Ich glaube nicht, daß hinter der ganzen Maßnahme besondere Grausamkeit stak, und wenn die Internierung viele von uns für immer unglücklich machte, wenn sie manchen von uns ihr Leben kostete und uns alle leiblich und seelisch gefährdete, so geschah auch das höchst wahrscheinlich nicht aus Bosheit, sondern aus purer Gedankenlosigkeit. Wenn jemand in Europa gut lebte, dann sagte man von ihm, er lebe »wie Gott in Frankreich«. Entstanden wohl war diese Redensart aus der Tatsache, daß es Gott gut hatte in Frankreich, daß man dort lebte und leben ließ, daß das Dasein dort leicht und bequem dahinfloß. Doch wenn es Gott gut hatte in Frankreich, dann hatte es, gerade infolge dieser saloppen Weltauffassung, der Teufel dort auch nicht schlecht. Die Franzosen bezeichneten ihre Schlamperei, ihre Art, die Dinge gehen und treiben zu lassen, als »Je-m’en-foutisme«, als eine Lebensanschauung, die sich ausdrücken läßt in der Wendung: »Je m’en foue«, ich scheiße darauf. Ich glaube denn auch nicht, daß böse Absicht an unserm Unheil schuld war, ich glaube nicht, daß der Teufel, mit dem wir in Frankreich von
1940 zu tun hatten, ein besonders ausgekochter Teufel war, der seine Freude hatte an sadistischen Späßen. Ich glaube vielmehr, daß es der Teufel der Schlamperei war, der Gedankenlosigkeit, der Herzensträgheit, der Konvention, der Routine, eben jener Teufel, den die Franzosen mit dem guten Wort »Je-m’en-foutisme« bezeichneten.
Natürlich ist die Art, wie unsere Internierung durchgeführt wurde, schwer begreiflich für jemand, der annimmt, daß Behörden, bevor sie etwas anordnen, über die Auswirkung ihrer Anordnungen nachdenken. Aber die französischen Behörden dachten eben nicht nach. Wir fragten uns: warum,
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