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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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erhielte. Die Bevölkerung nehme an, es komme von Hitler oder von Stalin.
    Wollte man sich nach der acht Meilen entfernten Stadt Toulon begeben, um zum Zahnarzt zu gehen oder irgendeine Besorgung zu machen, so mußte man viele Formulare ausfüllen, Fotos beibringen, die Daten des Vaters und der Mutter angeben und dergleichen. Dann dauerte es im günstigsten Fall zehn Tage, ehe man die Erlaubnis bekam. Ernstlich nachgeprüft wurden die Gründe und Zwecke der Fahrt niemals; erforderlich waren nur irgendwelche geschriebenen, wenn möglich gestempelten Bestätigungen. Die Akten waren nur um ihrer selbst willen da: der Beamte wollte gedeckt sein durch einen Wall beschriebenen Papiers.
    Ich habe mehr als andere zu leiden gehabt unter Schikanen der Bürokratie, und ich bin empfindlicher dagegen als andere. Meine Vernunft empört sich immer wieder über die dumme Umständlichkeit, mit welcher die Welt verwaltet wird. Ach, jene »allgemeinen Vorschriften«, jene »Mesures générales«. In den weitaus meisten Fällen lassen sie denjenigen, gegen den sie gerichtet sind, ungeschoren und treffen den Unschul digen. Wieviel Handlungen, zu welchen bürokratische Vorschriften einen zwingen, entbehren jeden Sinnes. Einen wie großen Teil meines Lebens habe ich damit verbracht, auf Ämtern herumzustehen und zu bitten und zu warten und tausend Schliche zu gebrauchen, nur um bestätigt zu erhalten, daß ich geboren bin, und zwar in München, und zwar im Jahre 1884. Dabei wurden ernsthafte Proben nur in seltenen Fällen vorgenommen; in den meisten Fällen mußte lediglich beschriebenes und gestempeltes Papier gegen anderes beschriebenes und gestempeltes Papier und mußte Geld bezahlt werden. Ich hätte – und ich bin ein langsamer Arbeiter – zwei Bücher mehr schreiben können, wenn ich die Zeit, die ich auf Ämtern und Kasernenhöfen, unnütz auf Unnützes wartend, zubringen mußte, auf meine Arbeit hätte verwenden dürfen.
    Ich war in Deutschland geneigt, die Bürokratie als ein typisch deutsches Laster anzusehen, als einen Exzeß des deutschen Ordnungs- und Organisationstriebes. Dann sah ich in der Sowjetunion, daß es dort noch schlimmer war. Dann erlebte ich in dem freien, individualistischen Frankreich eine noch mehr gesteigerte Bürokratie, nur gemildert durch die Lässigkeit und Schlamperei der Beamten, und schließlich sah ich mich auch in Amerika verstrickt in ein endloses Geschlinge von Bürokratie.
    Es ist nun ja wohl so, daß die immer mehr zunehmende Mechanisierung und Rationalisierung der Wirtschaft einen riesigen Apparat von Akten notwendig macht. Je mehr sich die Prinzipien geplanter Ökonomie durchsetzen, um so größer wird die Gefahr, daß das Leben des einzelnen überwuchert wird von Bürokratie. Um so größer auch wird die Gefahr, daß sich schematische Vorschriften, an sich gut ersonnen, in der Praxis als sinnlose Behinderung des Individuums auswirken, daß Vernunft zum Unsinn, Wohltat zur Plage wird.
    Es gibt, scheint mir, dagegen ein Mittel. Es müßte
    jedem Gesetz, jeder Vorschrift Begründung und Zweck beigefügt werden. Es müßte dem urteilenden Richter, dem ausführenden Verwaltungsbeamten anheimgestellt werden, die Vorschriften des Gesetzes nur dann auszuführen, wenn sie ihren Zweck erfüllen, und über sie wegzugehen, wenn ihre Erfüllung dem angestrebten Zweck offenbar zuwiderliefe. Es müßte das Relativitätsprinzip sinnvoll auf Jurisprudenz und VerwaltungsExekutive angewandt werden.
    Vorangehen müßte sorgfältige Erziehung und Auslese der Beamten. Die französischen Beamten zum Beispiel waren miserabel bezahlt und alles eher als erlesen. Sie waren bestechlich und versagten. Ihre Indolenz, ihre Käuflichkeit, ihre leere Routine war einer der Gründe, die zum Zusammenbruch Frankreichs führten.

    Unser Tageslauf in Les Milles vollzog sich folgendermaßen.
    Des Morgens um halb sechs ertönte das Wecksignal. Es war ein hübsches Signal, es gelang dem Trompeter nicht immer, aber wir erkannten es, und es wurde auch sogleich von vielen unter uns aufgenommen, gepfiffen und geplärrt. Jeden Morgen auch, unvermeidlich, ertönte das gewaltige Krähen des Tierstimmenimitators. Des weitern erhob sich jeden Morgen Streit darüber, welche Fenster geöffnet werden sollten. Ferner hörte man von allen Seiten mächtiges Gegrunze, Gestöhne, Gegähne, Gerülpse der Männer, die, steif vom Schlafen, sich streckten, unwillig, ihren freudlosen Tag zu beginnen. Immer die gleichen Redensarten hörte man, unflätige

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