Der Teufel in Frankreich
Auch jetzt spürte ich es mit ganzem Bewußtsein, wie Kraft in mich zurückkehrte, Leben, Herrschaft über den Körper. Als ich gar wieder ein wenig gehen, als ich die Zone des Gestanks verlassen konnte, stieg mein Glücksgefühl. Ich atmete die freie, schöne Luft mit voller Brust, ich genoß den Geruch des Waldes und der Heide, den Anblick der Berge und des Himmels, ich spürte, daß ich lebte.
An einem der nächsten Tage wurde ich unvermutet zum Kommandanten gerufen. Es ereignete sich selten, daß jemand zum Kommandanten beschieden wurde, der nicht darum gebeten hatte, empfangen zu werden. Gespannt machte ich mich auf den Weg. Während ich in dem mit Kopfsteinen gepflasterten Hof wartete, fragte ich den Dolmetscher, was wohl los sei. Er wußte nur, daß der Generalstab meinetwegen angerufen hatte. Hoffnung stieg in mir hoch. Vielleicht hatten die Bemühungen meiner Freunde doch gewirkt, vielleicht wurde ich, versehen mit einem echten Entlassungsschein, in mein Sanary zurückgeschickt, vielleicht gar über die Landesgrenze, über See.
»Sie haben mich rufen lassen, Herr Kapitän?« sagte ich. »Ja«, erwiderte er, »ich wollte mich überzeugen, ob Sie da sind. Ich rate Ihnen, entfernen Sie sich nicht vom Lager.« Betreten stand ich da. Was meinte er? Was sollte das heißen? Ich bemühte mich, eine Frage zu formulieren, deren Beantwortung es ihm ermöglichen sollte, mir einen Wink zu geben, was man eigentlich von mir wolle. Allein: »C’est ça, das ist alles«, sagte er, bevor ich fragen konnte, »ich danke Ihnen.« Ich mußte wohl gehen.
Der schöne Tag war mir grau geworden. Was stak hinter der merkwürdigen Warnung? War die gefürchtete Liste eingetroffen? Verlangten die Deutschen meine Auslieferung? Sollte der Rat, mich nicht zu entfernen, das genaue Gegenteil besagen? Ich wiederholte mir das kurze Gespräch, prüfte Satz um Satz, drehte jedes Wort um und um. Ich konnte nicht klug daraus werden. Ich fragte andere um ihre Meinung. Auch sie konnten nichts daraus machen. Bedrückt ging ich umher.
Am Tag darauf, während ich auf einer nahen Wiese herumschlenderte, hörte ich, wie man mich suchte, mich rief. Ich ging den Stimmen nach. Als man mich sah, rief man mir zu: »Kommen Sie, Ihre Frau ist da.«
Ich beschleunigte den Schritt, ich lief. Ich kam zu den ersten Zelten, ich kam zu meinem Zelt. Da saß sie auf der Bank unter dem Baum, die andern waren um sie herum, Herr Wolf, Herr Cohn, noch etliche. Sie sah mich kommen, sie stand auf. Wir hatten uns zwei Monate nicht gesehen, wir hatten nur vage Nachrichten übereinander gehört. Jetzt schritten wir uns entgegen, lebendig, heil. Sie stand da, ihr Mund zitterte ein wenig. Sie ist, Marta, eine sportliche, gut aussehende Frau. Sie trug einen derben Rock, eine derbe Bluse, ihr Haar war sehr ergraut. Mein Herz schlug ihr entgegen.
Diesen ganzen ersten Tag über waren wir eitel glücklich. Wir waren nicht mehr gefangen, nicht mehr eingeschnürt durch tausend Verbote, nicht mehr hing die drohende Sorge der Auslieferung über uns, dieses Lager war nicht mehr lärmend, stank nicht mehr, da wir wieder beisammen waren. Sie lachte viel und übererregt und aß viel von dem, was unsere Händler zu bieten hatten; sie war in ihrem Lager und während der mühseligen Fahrt hierher sehr dünn geworden und furchtbar ausgehungert. Auch schwatzte sie viel und viel durcheinander und viel schwer Verständliches.
Durch Martas Ankunft klärte sich auch auf, was es mit meiner geheimnisvollen Berufung zum Lagerkommandanten auf sich gehabt hatte. Sie hatte nämlich nicht mit Bestimmtheit erfahren können, wo ich zu finden sei, sie war auf gut Glück nach Nîmes gekommen und dort zur Militärbehörde gegangen, um Auskunft über mich einzuholen. Ein wohlwollender Offizier hatte sich mit dem Lagerkommandanten ins Benehmen gesetzt. Meine Berufung zu dem Kommandanten war als freundlicher Akt gedacht gewesen, der Mann hatte mich einfach auffordern wollen, im Lager zu bleiben, da der Besuch meiner Frau bevorstehe.
Marta klagte nicht viel, im Gegenteil, sie erklärte, infolge ihres guten Trainings habe ihr der Aufenthalt im Lager nicht sehr zugesetzt. Doch ihr Aussehen und ihre nervöse Zerfahrenheit straften ihre Worte Lügen. Dazu kam, daß sie sich geradezu mit Heißhunger über die Speisen hermachte, die man ihr vorsetzte. Sie war ihr Leben lang im Essen besonders maßvoll gewesen; so kam mich doppeltes Mitleid an, als ich sah, wie sie beim Sprechen immer wieder mit unbewußter Gier
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