Der Teufel mit den blonden Haaren
Nacht ausbleiben werde? Diese Möglichkeit hatte er doch bis jetzt immer rechtzeitig erwähnt. Oder — war das in der vergangenen Woche wirklich ein Herrenabend gewesen, an dem er erst bei Morgengrauen heimgekommen war?
Zweifel ist schlimmer als jedes wuchernde Unkraut: er gedeiht ohne Nahrung, er sucht sich selber welche, findet sie plötzlich überall, und alles, was bisher ganz einfach und natürlich zu erklären war, bekommt nun eine ganz andere, aufregende Bedeutung. Jedes Wort wird auf die Goldwaage gelegt, jede Bewegung analysiert — und durch dieses ständige Beobachten entdeckt man Dinge, die einem bisher nicht aufgefallen waren: die Teufelssaat des Zweifels und der Eifersucht geht auf.
Und genau das war es ja gewesen, was Gaby hatte erreichen wollen. Sie wußte, daß es für keine Ehe mehr eine Rettung gibt, wenn sich der Zweifel erst einmal eingenistet hat: wie Rost frißt er sich weiter und zerstört alles, was früher einmal gut und schön gewesen war. Sogar die Erinnerung vergiftet er.
Da Frau Ingrid Mercker aber keine dumme Person war, die nun blindlings alles zu Scherben schlug, nahm sie sich vor, zunächst noch abzuwarten.
Als sie von der Küche in die Diele trat, hörte sie oben in Tonis Zimmer Musik und das Lachen dieses Mädchens. Während sie aber gerade noch bereit gewesen war, Gaby ein Heim und die Freundschaft mit Toni anzubieten, schnitt ihr dieses Mädchenlachen wie ein scharfes Messer ins Herz. Da oben lacht sie... zuerst hat sie meinen Mann verführt, und jetzt macht sie meinen Buben verrückt... er ist noch ein dummer Junge, er wird auf sie hereinfallen, wird ihr vertrauen — und dann wird sie eines Tages voll Triumph vor mir stehen und sagen: wirf mich doch hinaus — ich erwarte ein Kind von deinem Sohn...
Sie war schon an der Treppe, entschlossen, sich zwischen ihren Sohn und dieses Mädchen zu stellen, selbst auf die Gefahr hin, sich lächerlich zu machen, als sie draußen den Wagen ihres Mannes zur Garage fahren hörte.
Sie warf einen raschen Blick in den Spiegel und erschrak. Wenn Harald mich so sieht, dachte sie, weiß er alles —
Sie lief ins Bad hinauf, vorbei an dem Zimmer ihres Sohnes, und fing an, sich sorgfältig zurechtzumachen. Sie, von der das Leben bisher noch nie eine Entscheidung gefordert hatte, sie wußte nun, daß sie selbst eine Entscheidung herbeiführen mußte. Aber nicht plump, nicht durch Anklagen oder ein Verhör durfte diese Entscheidung fallen, nein, sie mußte behutsam vorgehen, sich nichts anmerken lassen, in Wirklichkeit aber alle Weichen richtig stellen.
*
Es gelang ihr, kurze Zeit später ihrem Mann völlig unbefangen entgegenzutreten.
„Guten Abend, Lieber. Du siehst abgespannt aus — war es ein besonders harter Tag?“
„Ja“, nickte er, „viele Termine.“
Auch er warf einen flüchtigen Blick in den Spiegel. Augenringe — scharfe Falten — ein alter Mann...
Und trotzdem fühlte er sich jetzt merkwürdig erleichtert — auf der Fahrt hierher hatte er sich immer wieder vorgestellt, was geschehen wäre, falls Gaby sich verraten hätte. Aber es schien alles in Ordnung zu sein.
„Ist Toni da?“ fragte er wie nebenbei.
„Ja“, sagte seine Frau ebenso leichthin. „Oben in seinem Zimmer, er spielt Gaby seine neuesten Platten vor — hörst du?“
Er nickte nur und ging an ihr vorbei ins Wohnzimmer.
Müde sieht er aus, dachte sie. Er plagt sich den ganzen Tag ab, er ist ein Mensch, der seinen Beruf ernst nimmt, es strengt ihn an — oder hat er heute nacht zuwenig geschlafen?
Dr. Mercker stellte das Radio an, um die Abendnachrichten zu hören.
Sie sieht blendend aus, dachte er, lieber Gott, ich muß alles in Ordnung bringen, ehe es zu spät ist. Sie darf nicht einmal den geringsten Verdacht schöpfen. Sie hat es nicht um mich verdient, ich werde dieses Mädchen doch aus dem Haus schaffen und wenn es sein muß…
Er stand vor dem Radio, unbeweglich, und die Worte des Nachrichtensprechers rauschten an seinem Ohr vorbei, er hörte sie kaum. Wenn ich Walther Scheurich einen Wink gebe? dachte er, wenn ich ihn als Ehrenmann und künftigen Schwiegersohn bitte, diese Sache diskret zu behandeln?
Aber Scheurich ist ein kleiner Mann, der Karriere machen will, er wird keine Rücksicht auf mich nehmen. Ich habe ihn sogar im Verdacht, daß er nur auf so etwas wartet... egal, was aus Sabine wird.
Sabine?
Hatte nicht Gabriele gesagt, Sabine würde sie hassen, und wenn Gefahr drohe, dann nur von Sabine?
Er riß die Küchentür auf.
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