Der Teufel von Mailand
Sie abzulösen.«
»Wie kommen Sie darauf, daß ich abgelöst werden muß?«
»Ich bekam einen Anruf vom Büro.« Casutt hatte die Stimme etwas erhoben.
»Vom Büro? Sie sollen mich ablösen?«
»Fragen Sie doch.«
Michelle verschwand in der Tür hinter dem Empfangstisch.
»Ich spinn doch nicht«, sagte Casutt zu Sonia.
Michelle kam kopfschüttelnd zurück. »Von uns hier hat niemand angerufen.«
»Doch. Ein Mann.«
»Hat er den Namen gesagt?«
»Nein. Nur ›Hotel Gamander‹.«
»Da hat sich jemand einen Scherz erlaubt. Gehen Sie ruhig wieder schlafen, Herr Casutt.«
»Schöner Scherz.« Casutt sah enttäuscht aus. Er tat Sonia leid.
»Wo er nun schon einmal hier ist, könnte er vielleicht die Stellung halten, bis wir gegessen haben«, schlug Sonia vor.
»Nicht nötig. Falls jemand kommt, kann er klingeln. Das machen wir immer so.«
Sie ließen den konfusen Herrn Casutt stehen und traten aus dem Hotel. Der Himmel war grau, Nebelfetzen hatten sich in den Felsen über Val Grisch verfangen. In der Einfahrt parkte ein schwarzer Mercedes der S-Klasse. In den Staub der hinteren rechten Tür hatte jemand geschrieben: »Der Teufel von Mailand.«
4
Unterhalb der Alp Petsch konnte man die Föhrenspitzen ahnen, die sich gegen den fahlen Himmel abzuheben begannen. An einem klaren Tag hätte man jetzt schon die Konturen der Bergkette auf der rechten Talseite erkennen können. In ein paar Ställen brannte Licht, man hörte das Scheppern der Milchkessel und das Summen der Melkmaschinen. Ein Hahn stieß seinen traurigen Schrei aus, und in der Ferne antwortete ihm ein anderer.
Im Hotel war noch alles dunkel. Nur hinter dem Empfangstisch brannte die kleine Leselampe. Herr Casutt hatte die ganze Nacht durchwacht. Niemand sollte ihm vorwerfen können, er versehe seinen Dienst nicht pflichtbewußt. Er konnte es der Chefin und den Kollegen ansehen, daß sie seit dem Vorkommnis mit der Pflanze und dem mysteriösen Aufgebot zum Tagesdienst an seiner Zuverlässigkeit zweifelten. Er hatte in den letzten Jahren einige Entlassungen erfahren und kannte deren Vorboten. Er würde keinen Anlaß liefern.
Sonia lag mit offenen Augen im Bett. Sie hatte eine Nacht ohne Sinnestäuschungen verbracht, war zweimal erwacht und gleich wieder eingeschlafen. Jetzt zwang sie sich wach zu bleiben.
Sie wurde nicht schlau aus Barbara Peters. Miss Gamander, wie Manuel sie getauft hatte. Sie stand früh auf, schwamm jeden Morgen ihre Längen, machte bei jeder Witterung ihre Spaziergänge mit Bango, aß ihre vegetarischen Spezialmenüs und führte auch sonst ein Leben wie auf einer Beauty-farm.
Daß das Hotel hoffnungslos unterbelegt war, schien sie nicht zu stören. Sie tat, als dienten das Gamander und seine Wellness-Anlage ihrem persönlichen Komfort, an dem sie eine Handvoll Gäste großzügig teilnehmen ließ. Diesen war sie eine stets strahlende, aber distanzierte Gastgeberin.
Auch zum Personal pflegte sie diese herzliche Distanz. Einzig Michelle, die Rezeptionistin, ließ sie ein wenig an sich herankommen. Jedenfalls war Michelle die einzige, mit der sie per du war.
Selbst das Attentat auf die Zimmerpflanze schien sie merkwürdig kühl zu lassen. Als jemand ihr vorschlug, die Sache der Polizei zu melden, lachte sie und fragte: »Als Mordsache Gummibaum?«
Einen Mann schien es in ihrem Leben nicht zu geben. Bis auf den eleganten älteren Italiener, der zwei Nächte im Hotel verbracht hatte und zu allerhand Spekulationen Anlaß gab. Er aß an Barbara Peters Tisch, und sie stellte ihn als il Senatore vor. Sie schienen sehr vertraut, aber kein Liebespaar zu sein. Er bewohnte eine der drei Suiten, und sein Chauffeur war in einer Junior-Suite untergebracht. Sie unterhielten sich auf italienisch, das Barbara Peters nach Auskunft der italienischen Kellner nur gebrochen sprach.
In Personalkreisen vermutete man, daß il Senatore mit dem finanziellen Hintergrund der Chefin zu tun hatte.
Sonia stand auf und zog die Vorhänge zurück. Etwas von dem müden Licht der Dämmerung drang in das Zimmer. Zu wenig, um die Möbel und Gegenstände wieder wirklich erscheinen zu lassen. Sie machte Licht, ging ins Bad, knipste auch dort die Deckenlampe an und nahm das Tuch von Pavarottis Käfig.
Der Vogel blinzelte sie an. Dann begann er, auf seiner Sitzstange seitwärts hin- und herzutrippeln.
»Flugwetter?« fragte Sonia und öffnete die Käfigtür. Pavarotti rührte sich nicht. Er würde warten, bis Sonia sich entfernt hatte, und dann zu einem
Weitere Kostenlose Bücher