Der Teufel von New York
Angst , sagte sie. Es tut weh, solche Angst zu haben. Machen Sie schnell, oder ich bin für immer verloren.
Seine Antwort konnte ich nicht sehen, denn er hatte sein Gesicht von mir abgewandt. Sie gingen nebeneinander die Straße hinunter.
Ich folgte ihnen. Sie klingelten bei Silkie Marsh und gingen dann ins Haus. Jedes Fenster war erleuchtet. Ich sah das Schimmern der Spiegel, Kerzen und Teppiche, welches die Männer dort hineinlockte, den Glanz von gebohnertem Hartholz und Kristall. Etwa zehn Minuten lang stand ich einfach nur da und wartete. Wenn ich jetzt in Silkie Marshs Bordell gehen würde, dann war klar, dass ich Mercy gefolgt war, anders konnte man das nicht nennen. Am Ende zwang ich einfach meine Füße, sich in Bewegung zu setzen. Dass Mercy bei Nacht außer Haus ging, war ungewöhnlich, doch mit ein wenig Mühe konnte man dafür eine Erklärung finden. Ein Kind hatte Scharlach und lag im Fieber, ein armer Mann war vom Pferd abgeworfen worden, eine Hebamme brauchte Unterstützung. Doch wenn Mercy einen fremden Kerl traf, Stunden nachdem sie in der Kutsche des Mannes mit der schwarzen Kapuze gesehen wurde – ich konnte es nicht verantworten, dieser Sache nicht auf den Grund zu gehen.
Na ja, das redete ich mir zumindest ein.
Ich lief über die Straße und hielt mich nicht lange mit Anklopfen auf. Die Vordertür war unverschlossen, und so stürmte ich hinein. Die in üppigen Farben erstrahlende Eingangshalle war leer. Ich rannte durch den Raum, vorbei an den Ölgemälden und Farnen, und stürzte in den Salon.
Die bodenlangen venezianischen Spiegel warfen mein Bild etwa neunfach zurück, in jedem sah ich aus, als hätte ich gerade eine schlimme Begegnung in der Cow Bay nur knapp überlebt. Und Silkie Marsh gab es auch etwa neun Mal, sie hockte in einem amethystfarbenen Samtstuhl und war – kaum zu glauben – mit Strümpfestopfen beschäftigt. Sie sah zu mir auf und wirkte überrascht, aber nur ganz kurz. Für einen Moment kam sie mir sehr jung vor, sie glich einer Blüte, ihr leuchtendes Gesicht bot einen hübschen Kontrast zur Strenge des modischen schwarzen Satins. Silkie Marsh tut gut daran, solche Sachen zu tragen, denn sie stehen ihr nicht und lassen sie ausssehen wie ein junges Mädchen, das sich das Ballkleid ihrer älteren Schwester ausgeliehen hat. Schwarzer Satin, so unwahrscheinlich das auch klingen mag, vermittelt einem den Eindruck, sie sei ungefährlich.
»Mr. Timothy Wilde«, sagte sie. »Sie sehen aus, als seien Sie dem Zusammenbruch nahe. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
Ich lehnte ab, doch sie achtete nicht darauf. Sie legte ihren Strumpf samt Nadel auf den Stuhl und ging zur Anrichte, goss zwei Gläser Whiskey ein, nippte an ihrem Glas und reichte mir meines.
Ich stellte fest, dass ich es dringend nötig hatte, also kippte ich ihn hinunter und gab ihr das Glas zurück. »Danke. Wo ist Mercy Underhill?«
»Ich weiß nicht, ob Sie das etwas angeht, Mr. Wilde«, sagte sie süßlich. »Ich bin mir sogar sicher, dass es das nicht tut.«
»Ich weiß, dass sie hier ist. Und ich muss sie sprechen. Sagen Sie mir, wo sie hingegangen ist.«
»Das möchte ich Ihnen aber nicht sagen. Das ist eine hässliche Sache. Bitte zwingen Sie mich nicht dazu, Mr. Wilde, Sie sind kein Mann, der Gewalt anwendet. Sie werden eine noch schlechtere Meinung von mir haben, als das ohnehin schon der Fall ist.«
»Darüber brauchen Sie sich keine großen Sorgen zu machen.«
»Ich verrate nicht gern die Geheimnisse anderer, denn ich bin eine Frau, die zu ihrem Wort steht, Mr. Wilde. Aber wenn Sie daraufbestehen, es ist gleich dort den Flur hinunter, die Tür neben der chinesischen Vase. Ich weiß, Sie werden meine Gesellschaft wahrscheinlich niemals zu schätzen wissen, aber versuchen Sie bitte nicht, jetzt mit ihr zu sprechen. Bitte nicht.«
Ich glaube, ich brauchte weniger als fünf Sekunden bis zum Ende des Flurs. Die chinesische Vase stand auf einem Sockel, über ihr an der tapezierten Wand hing eine hübsche Lampe und verbreitete bernsteinfarbenes Licht.
Ich stieß die Tür auf und trat ein.
In dem kleinen Zimmer war es schummrig, man sah eher verschwommene Schatten als scharfe Umrisse. Aber da war ein kleiner überraschter Laut zu hören und eine schnelle, wilde Bewegung. Ich sah Gestalten auf dem Bett, die eine, nackt von der Hüfte aufwärts, wandte mir ihr Gesicht zu, die leeren Augen weit aufgerissenen. Der Mann war auch da, über ihr, halb bedeckt von der Bettdecke, er sah nach
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