Der Teufel von New York
Dann war Dr. Palsgrave eines Tages wieder mit seiner schwarzen Kapuze gekommen, die Kinder waren alle auf ihre Zimmern befohlen worden.
»Liam hatte eine Lungenkrankheit«, erklärte Dr. Palsgrave, »und ich machte alchemistische Experimente mit Blut. Das mache ich immer noch, die Ergebnisse waren ...«, er verstummte für einen Augenblick, wie entrückt und von schmerzlicher Hoffnung erfüllt, dann war er wieder zurück auf dem Boden der Tatsachen. »Gleichviel. Ich hatte Madam Marsh gebeten – sollte der unglücklicheKnabe nicht wieder genesen –, mich so schnell wie möglich zu informieren, damit ich das Blut ablassen konnte. Es gibt einige höchst interessante französische Forschungen zum Blut, und die Idee, Blut zu reinigen, ist sehr vielversprechend. Ich wurde auftragsgemäß informiert, eilte zu dem Haus, in dem der Junge sein Leben ausgehaucht hatte, und ließ das Blut des armen Kindes in eine Schüssel laufen. Ich war so in Eile, dass ich ihn in seinem Krankenzimmer zur Ader ließ und nicht im Keller. Doch dann fiel mir ein, dass ich das Gefäß, in dem ich das Blut transportieren wollte, dummerweise in der Kutsche vergessen hatte, und so lief ich noch einmal hinunter.«
»Das Zimmer war dunkel, als Sie gingen«, sagte ich. »Weshalb?«
Sein Gesichtsausdruck schwankte zwischen Überraschung und Furcht. »Wie können Sie das wissen? Ich nahm meine Laterne mit hinunter. Ich versuchte mich oben so diskret wie möglich zu bewegen, wie ich es immer tue, wenn ich gezwungen bin, mich in der Nähe anderer Kinder aufzuhalten. Nach drei Minuten war ich zurück, aber ...«
»Aber als Sie das Zimmer betraten, sah es dort aus wie im Schlachthaus. Jemand hatte alles entdeckt, jemand, der das Blut überall verteilt hat.«
»Madam Marsh war nahe am Umsinken, und ich fürchte, ich selbst hatte heftigstes Herzrasen.« Dr. Palsgrave kniff sich bedauernd in die Nase. »Das könnte in meinen weiteren Handlungen eine Rolle gespielt haben. Ich vermag das nicht zu sagen. Wir gingen Fußspuren nach, die in ein anderes Zimmer führten, und entdeckten, dass dort das Fenster offen stand und eine selbstgemachte Strickleiter am Fensterriegel festgebunden war. Madam Marsh befahl mir, die Leiche fortzuschaffen, ohne weitere Untersuchungen mit ihr anzustellen, und ihr dabei zu helfen, das Blut aufzuwischen. Moses und Scales waren zwanzig Minuten später zur Stelle.«
»Doch dann rebellierten Sie.«
»Ich konnte es einfach nicht«, sagte er, nach Luft ringend, undballte die Faust auf seinem Knie. »Die sterbliche Hülle eines Kindes so zu verschwenden , wo doch das Blut schon verloren war und ich so dringend eine Milz brauchte. Es tut mir leid, dass ich Ihnen sagte, das könnten Ratten gewesen sein. Ich bat, den Keller benutzen zu dürfen. Silkie Marsh weigerte sich zuerst. Doch dann sagte ich ihr, ich würde nie mehr über die Schwelle ihres Hauses treten, wenn sie mir nicht zehn Minuten geben würde, dass dann unsere ganze Abmachung für immer hinfällig sei, und am Ende erlaubte sie es mir.«
»Erzählen Sie weiter.«
Hinter Dr. Palsgraves herabsinkenden Mundwinkeln verbargen sich Schmerz und Erschöpfung. »Ich entnahm das Organ. Wir wickelten das arme Kind ein und brachten es dann in die Kutsche. Wir waren auf dem Weg Richtung Norden zur Grabstätte, doch ich gestehe es offen ein, wir waren noch nicht weiter als bis zur Mercer Street gekommen, als mich die schrecklichste Panik übermannte. Ich hatte zehn zusätzliche Minuten gebraucht, und Madam Marsh hatte gesagt, die könnten unseren Untergang bedeuten. Der Beweis lag direkt zu meinen Füßen, und ein Kind, ein Zeuge – wer das war, weiß Gott allein, mir wurde nie gesagt, wie viele Kinder eigentlich genau bei ihr arbeiten – war auf der Flucht, wahrscheinlich zu Tode erschrocken, das arme Geschöpf. Ich hielt bei einem Abfallbehälter vor einem Speisehaus an.«
Hier brach er jäh ab. »Ich ... es wird mich auf ewig verfolgen, Mr. Wilde.«
Das glaubte ich ihm aufs Wort. »Silkie Marsh erfuhr von Moses und Scales, was Sie getan hatten. Hat sie daran Anstoß genommen, dass die Leiche so nah bei ihrem Haus abgelegt wurde?«
»Nein, oder falls doch, so hat sie das mir gegenüber nie erwähnt. Am nächsten Morgen teilte sie mir mit, man habe das fehlende Kind gefunden. Sie erzählte dem Kind, man habe Liam zur Ader gelassen, bevor er friedlich verstorben sei, und Gott sei Dank glaubte das Kind ihr. Sie habe die Lage im Griff und alles könne wieder zur Normalität
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