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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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Erinnerung. Ich hatte die ganze Zeit einen freundlichen und gemessenen Tonfall beibehalten. Eine hübsche Melodie für düstere Worte. Ich wollte sie aus der Fassung bringen, sie so wütend machen, dass sie einen Fehler beging, einen einzigen.
    Silkie Marsh zuckte nicht mit der Wimper, als ich mich in einen der frei gewordenen Samtstühle setzte. Es schauderte mich leicht. Sie hatte ihren Begleitern nicht den kleinsten Blick gegönnt. Kaum waren sie fort, war es, als hätte es sie nie gegeben, waren sie so klein und leblos wie Schachfiguren, und ebenso austauschbar.
    »Ich habe bei Ihnen schon früher eine gewisse Verrohung vermutet, Mr. Wilde, aber jetzt scheinen Sie vollkommen vergessen zu haben, wie man sich benimmt, wenn man unter Menschen geht.«
    Sie beugte sich vor, nahm eine Champagnerflasche aus einem Eiskübel und schenkte uns zwei Gläser ein. Sie trug ein rotes Satinkleid, das den blauen Ring in ihren Augen noch blauer wirken ließ, und ihr flachsblondes Haar war mit einem schwarzen Samtband hochgebunden. Alles an ihr war ebenso teuer wie geschmackvoll.
    »Sagen Sie mir«, säuselte sie und lehnte sich zurück, während das Licht sich in ihrem Champagnerglas brach wie in einem Kaleidoskop, »sind Sie hier, um mich endlich darüber aufzuklären, was mit dem armen Liam geschehen ist? Haben Sie den Missetäter gefasst? Nachdem Sie so anschaulich von toten Kindern gesprochen haben, wäre ich froh zu erfahren, dass das Ganze auch zu einem Ergebnis geführt hat.«
    »Das hat es. Warum erzählen Sie mir nicht, wie viele Kinder Sie absichtlich getötet haben, bevor Sie die Leichen an Dr. Palsgrave zur Autopsie verschacherten?«
    Wenn Leute schockiert sind, sieht es meistens aus wie Angst. Bei Silkie Marsh sah es aus wie Freude. Sie öffnete den Mund und warf den Kopf in den Nacken, während ihre blassen Wimpern flatterten. Ich fragte mich, ob sie das einstudiert hatte. In dieser Perfektion war es bestimmt nicht so leicht.
    »Das ist eine Lüge«, keuchte sie.
    »Nein, eine Frage. Ich möchte nur wissen, wie viele es gewesen sind. Ich habe nicht den geringsten Beweis. Sie sehen, ich lege meine Karten auf den Tisch. Ich kann nichts beweisen. Ich bin am Ende meiner Weisheit angelangt. Erzählen Sie es mir.«
    Erzählen Sie es mir.
    Sie haben mir erzählt, dass Sie als Kinderdirne aufgewachsen sind, das ist Ihnen so rausgerutscht, und Sie haben sich sehr darüber geärgert. Also sagen Sie mir alles. Ich bin ehrlich, und Sie sind eine hervorragende Lügnerin; wir werden unsere Stärken gegeneinander ausspielen, bis einer von uns gewinnt.
    »Ich denke, Sie schulden mir eine Erklärung, was Sie Dr. Palsgrave eigentlich vorwerfen.« Es war der Versuch, mit einer weiteren flattrigen Bewegung das Thema zu wechseln. »Das ist allesganz abscheulich, ich kann es nicht glauben. Er ist ein sehr gütiger Mensch, ein Philanthrop aus ganzem Herzen, einer, der keine Ruhe findet, solange er nicht der Menschheit einen Dienst erwiesen hat.«
    »Und er hat mir gestanden, dass er Ihnen fünfzig Dollar pro Leiche zahlte. Gegen ihn habe ich genug Beweise in der Hand, um ihn in den Kerker zu bringen, ich möchte aber wissen, wie viele von den Kindern, die Sie ihm verkauft haben, eines natürlichen Todes gestorben sind. Sie haben sie eingeschläfert, nicht wahr, vielleicht sogar vergiftet? Viele Gifte sind später nicht mehr nachweisbar, nicht einmal durch Dr. Palsgrave, und die Leichen sind ja ohnehin schon lange verwest. Die Beweise sind verschwunden. Wenn Sie mir antworten, kann Ihnen das also nicht schaden.«
    Sie beugte sich vor, als sei ihr Körper ein Messer, das auf meine Kehle zielte, und setzte ihr Glas an die Lippen. Berührte es bloß mit der Unterlippe, zart und aufreizend.
    »Wenn Sie nichts wissen«, sagte sie, »wüsste ich nicht, warum ich Ihnen etwas sagen sollte.«
    »Damit ich erfahre, wie klug Sie sind. Würde Sie das nicht freuen?«
    »Wieso sollte ich meine eigenen Angestellten töten wollen, Mr. Wilde?«
    »Ich habe nicht gesagt, dass Sie das wollten. Ich sagte, dass Sie es getan haben .«
    »Das ist alles so ermüdend«, seufzte sie. »Selbst wenn wir annehmen, ich hätte dem guten Doktor die Leichen der Kinder überlassen, die an einer Krankheit verstorben waren – und das streite ich nicht ab, er wollte sie unbedingt haben, Mr. Wilde«, setzte sie im zärtlichen Ton einer Viper hinzu, die mit ihrer herausschnellenden Zunge meine Haut streifte. »Er wollte alle Leichen haben, deren er habhaft werden konnte, und

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